Ein Jahr ohne Features

14.01.2014

Versuchter Rückblick Maerz 2013 - ein Workshop in Linz: überraschendes Beitrag-Bauen für\'s Radio; eigentümlicher Titel-warum wollen sie nicht gleich Radiofeatures machen, denke ich. Aber vielleicht ist ja das Feature gar nicht so verbreitet hier; hat ja auch diese anrüchige Kunstverwandtschaft- und bei harten politischen Themen im freien Radio spielt das Feature dann leicht die Rolle des Flirts mit der bürgerlichen Informationsgesellschaft- schön smart einlullen die Inhalte, dann sind sie leichter verdaulich und so weiter... Ich frage die Teilnehmenden nach ihren Motivationen - am Ende versucht eine von 8 tatsächlich, der Kunst im Radio eine Chance zu geben und sich zu verabschieden vom Verkündungsmodus. Sie legt ein akustisches Tagebuch an über ihre Suche nach dem namibischen Vater, den sie noch nie gesehen hat. Akustische Tagebücher sind für mich interessanter, als ich es im ersten Moment zugeben möchte; vielleicht wegen der Unvorhersehbarkeit und der trotzdem spontan aufscheinenden Lust, das Schicksal in die eigene Hand und Feder zu nehmen. Ist das Tagebuch eine Feature-Form, ein Angebot an Assoziationen-Ebenen? Das voyeuristische Anhören ist beim Schreiben und Sprechen schon mitgedacht - das Lügengebilde Tagebuch! Ende Maerz 2013 - Ein Wintertag im Harz- der Rest der Welt feiert schon Frühling- ich nehme eine Reportage auf zum Brocken; in Begleitung von Brockenbenno, der seinen vielleicht sechseinhalbtausendsten Aufstieg plant und in Begleitung des Gründers des Nationalparks Hochharz - Dr. Uwe Wegener. Die Beschreibungen des Aufstiegs, gebrochen durch die geschichtlichen Rückblicke der beiden Harz-Helden, würze ich mit Vogeltönen des Hochharzes, Zitaten der Harz-bezogenen Weltliteratur und Informationen über die eigentümliche Sitte der Harzer Jodler und der Harzer Roller. Am Ende entsteht live ein sehr dichtes Geflecht verschiedener Erzählstränge, natürlich live und natürlich schön vom Keuchen der alten Lungen durchzogen. Aber ist das jetzt ein Radio-Feature? An wen zum Himmel wende ich mich jetzt mit dieser schönen Radioform, deren Konsistenz in keines der vorhandenen Formate passen möchte, von der Dauer ganz abgesehen. Eine Harzreise, ein Wintermärchen, ein Feature? Ein Tag im Juni 2013- Menschen diskutieren heiß auf einem Platz der Stadt Halle/S.- Politiker sind gekommen, das Lokalradio oder auch freie Radio, wie es sich selbst nennt, sendet live- es geht um den Umbau des Platzes, Bäume sollen fallen, der alte Imbiss soll weichen! die Sternburg-Flaschen trinkenden Gäste sind nicht im neuen Konzept des Platzes enthalten. Hier soll das älteste Varieté Deutschlands das Flair prägen, Vergnügungen statt Alltag, Porsche statt altem Volvo und jetzt des Volkes Stimme ... Im Radio erklingen die stockenden Stimmen der Anwohner, gleichzeitig laden Künstlerinnen ein, per Kopfhörer Minisender aufzuspüren, die lokale Geräusche ausstrahlen. Die Frequenz ist die gleiche, wie die des Radios Corax, das zeitgleich geprägt ist von der Gentrifizierungsdebatte. Die Geräusche mischen sich vor Ort, es entstehen gleichzeitig 7 verschiedenen Features zum Thema Umbau der Stadt. Aber die sind nur live zu erleben: aufgezeichnet wird hier nichts, die Kombination aus Streitgespräch, Minisendersignalen und Umgebungsgeräuschen ist nichts fürs Archiv. Juli - im Studio des freien Senderkombinates FSK Hamburg ist ein Humorforscher zu Gast, in Kreuzberg treffen sich Corax-Leute mit Wolfgang Müller, dem Kopf der ehemaligen Tödlichen Doris, dieser wunderbaren Performercrew der Mittachtziger. Sie reden ebenfalls über Humor und seinen bitteren Beigeschmack. In Halles Coraxstudio sitzt Udo Israel und hat neben den beiden Signalsträngen aus Hamburg und Berlin noch eine Aufnahme des Halleschen Lachclubs zum mixen. Eine Mehrspur-Sendung live aus einer Hand mit drei Antennen. Sein Mix geht live in die Welt und wird in Wien, Linz, Dresden, Halle, Leipzig und Berlin gehört, ein live-Feature über das Lachen. August - ich mache Aufnahmen im kenianischen Malindi; ein Dorf verwaltet die eigenen Ressourcen ganz im utopischen Sinne der Räterepubliken oder der Chiapatistas in Mexiko. Es heißt Mida und Schilder begrenzen das Dorf am Rande eines Mangrovenwaldes: Not for Sale, ist zu lesen und im Zweifel mit Gewehr bekräftigt. Ich rede mit einfachen Fischern, mit Politikern, mit Familien, die ihre Kinder nach Nairobi zum Studium schicken konnten, weil die Einnahmen aus den Urwald-Führungen im Dorf geteilt werden und der Bildung zugute kommen. Ein Feature soll es werden, auf DeutschlandRadio soll es laufen und verkünden vom Aufbruchsgefühl des kleinen gallischen Dorfes am Rande des großen atlantischen Küstentourismus. Aber je mehr ich rede - und die Atmosphären aus Wald und Hütten sind traumhaft plastisch - je mehr wird mir klar, dass es spannender wäre, ein Community-Radio würde entstehen und die Menschen hätten ihre eigenen Verteilungssysteme und Massenkommunikationsmittel - das hätte tatsächlich Auswirkungen auf die Region und könnte Gemeinden zur Nachahmung anstecken. Also werde ich daran arbeiten; die Aufklärung der deutschen Gesellschaft kann ich immer noch betreiben, wenn mein Geld knapp wird. November - Kasan, Tatarstan, Russland - Radio wird komplett zum gesellschaftlichen Werkzeug. Kunst ist Mittel zum Zweck. Immer lebe die Sonne.

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