Halle rundum erlauschen

RR #2: Soundscapes

Ein abgedunkelter Raum, eine alte Leselampe (Typ „Universitätsbibliothek“) wirft  dämmriges Licht auf die Szenerie. Nachdem ich durch den schwarzen Stoff-Vorhang eingetreten bin, ziehen zwei Dinge die Blicke auf sich: Ein Bildschirm hoch oben an der Wand, und zwei tiefschwarze Liegekissen mitten im Raum. Doch während die Augen sich noch im Schummerlicht zurecht finden, arbeitet mein Gehör schon merkbar: Da fährt doch … eine Straßenbahn im Kreis? Jetzt fällt auch mein Blick auf die grünen Dioden, die vorne an den sechs alten Röhrenradios glühen. Aus längst vergangenen Zeiten, noch mit analoger Senderanzeige und dem klanglichen Charme alter Röhren quietscht und rumpelt eine Hallesche Straßenbahn (übrigens damals die erste elektrische Eisenbahn Deutschlands) an mir vorbei. Dem Klang nach noch ein altes „Tatra“-Modell, besonders geräuschintensiv und deswegen (oder trotzdem?) bei Straßenbahnenthusiasten beliebt. Ja, die gibt es wirklich. Und auch wenn ich der Überzeugung bin, dass man erst dann eine echte Hallenser Tatra-Bahn erlebt hat, wenn man direkt daneben stand und das Gleisbett vibrieren fühlte, kommt diese außergewöhnliche Surround-Sound-Installation doch schon ziemlich nah dran.
 
 
Nachdem die Bahn akustisch vorbei gezogen ist, erzählt mir eine Frauenstimme vom Schienen-Alltag in Halle. Neben den Tatras beschreibt sie „smarte Lindwürmer“, damit sind wohl die modernen Niederflurbahnen gemeint … und aus eigener Erfahrung kann ich ihr nur laut zustimmen, als sie den Halleschen Alltag mit dem Schienenverkehr als „manchmal lebensgefährlich“ bezeichnet. Nicht nur wegen der Bahn selbst und dem manchmal unübersichtlichen Innenstadtverkehr; auch die Kombination aus doppelten Gleisen und Kopfsteinpflaster macht die Straßen rund um den Marktplatz bei Fahrradfahrern unbeliebt. Als die Frauenstimme ihren kurzen Monolog beendet hat, erwacht der Bildschirm zum Leben und zeigt (jetzt tonlos) wie eine Straßenbahn an die nächste Haltestelle fährt. Doch bevor ein Fahrgast aussteigen kann, ist das Bild wieder schwarz. Ich lege mich auf einen der beiden Sessel und schließe die Augen.
 
Ich höre Knacksen, Schnurpsen, Knabbern, Schnaufen … und im Hintergrund kurz ein Handy klingeln? Das Knabbern ist zu schnell und das Schnaufen zu kraftlos für ein Pferd. Kurz darauf klärt mich eine weitere Frauenstimme auf: Nutrias. Halles exotische Flussbewohner an der Saale haben mir gerade etwas vorgekaut. Und nach dem kurzen O-Ton sind die putzigen Nager kurz auf dem Bildschirm zu sehen, bevor es wieder schwarz wird. Ich sehe mich im Raum um: Ich sitze inmitten eines Kreises aus alten Röhrenradios, die modernen 6.0 Surround Sound abspielen. Das wird besonders deutlich, als ich plötzlich von Geräuschen aus der Halleschen Saline umtanzt werde: Ein Spaten sticht in das gesiedete Salz, etwas Schweres fällt herunter. Mein Kopf braucht dazu kein Videobild; ich war schon mal in der Saline und erkenne die Geräusche wieder.
 
So geht es noch eine Weile: Die markanten Töne der Stadt, in der ich seit Jahren lebe, umgeben mich so, als ob ich an Ort und Stelle wäre – und lenken doch meine Aufmerksamkeit ganz gezielt auf bestimmte Details wie das Knabbern des Nutrias. Details, die sonst im hektischen Alltag schnell untergehen, die man gar nicht mehr bewusst wahrnimmt … und doch irgendwie fest mit Halle assoziiert. In diesem Sinne ist „Stadträume“ nicht nur ein Porträt, mit dem Halle Auswärtigen vorgestellt werden kann – vielmehr können Hallenser (und „Hallunken“) ihre Stadt hier mal vorrangig mit den Ohren erleben. Unser Hörsinn verrichtet seinen Dienst meist unauffällig im Hintergrund – hier darf er einmal prominent die erste Geige spielen.