Johannes Weiß

Über das Kulturradio der Zukunft

"Uns muss niemand retten" Von Johannes Weiß: Seit Monaten wird heftig über das Kulturradio in Deutschland diskutiert. Also über Programme wie dieses hier, das Sie jetzt gerade hören: SWR2. Dass wir im Gespräch sind, freut mich natürlich. Denn, ganz ehrlich, manchmal denke ich als Programmchef von SWR2: Da produzieren wir die schönsten Hörfunk-Sendungen, aber was die meisten Medienkritiker wirklich interessiert, ist am Ende doch nur das Fernsehen. Klar, Beachtung finden wir, wenn wir große Projekte aufs Gleis setzen. So hat SWR2 zum Beispiel den berühmten Roman „Ulysses“ von James Joyce als 18teiliges Hörspiel produziert. Eine faszinierende Produktion, die unlängst von einer Jury zum Hörbuch des Jahres gekürt wurde. Übrigens: Bald werden die Ulysses-Folgen wiederholt. Streichen Sie sich schon mal den 27. Dezember im Kalender an, da senden wir die erste Folge. Aber warum wird denn zur Zeit so heftig über das Kulturradio debattiert? Nun, Anlass dafür waren ein paar kleine Änderungen beim Kölner Kulturradio WDR3. Gegen diese Änderungen formierten sich die sogenannten „Radioretter“. Als Programmchef von SWR2 kann ich dazu natürlich nur wenig sagen. Ich verstehe die Debatte auch gar nicht so recht. Denn, ganz ehrlich: Ich sehe nicht bei WDR3 und schon gar nicht bei SWR2 irgendwelchen Rettungsbedarf. Und wenn ich dann noch hinzu nehme, dass man ja überall dank des Internets jede Menge vorzügliche Produktionen aller deutschen Kulturradios hören kann, verstehe ich das Getöse überhaupt nicht mehr. Woche für Woche produzieren wir neue Hörspiele, gibt es neue Features, Klassik und neue Musik, Jazz, Nachrichten und Analysen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, es gibt Gespräche und Foren, Lesungen und Essays. Jedes Kulturradio prägt die Kultur in seinem Sendegebiet maßgeblich mit. Ich glaube nicht, dass es in irgend einem anderen Land der Welt ein derart vielfältiges kulturelles Radioangebot gibt. Ich bin seit gut fünf Jahren Programmchef von SWR2. Wie andere Bereiche unseres Hauses, so müssen auch wir kräftig sparen – 25 Prozent bis zum Jahr 2020. Die Zeiten steigender Einnahmen sind nun einmal vorbei, wir werden künftig weniger Geld zur Verfügung haben. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch in Zukunft ein faszinierendes Kulturprogramm senden werden. Dabei werde ich immer wieder gefragt: Was meinst Du eigentlich, wenn Du von Kultur sprichst. Ich sage dann meist sehr schlicht: Kultur ist, was das Leben lebenswert macht. Das ist natürlich viel mehr als das, was wir unter „Hochkultur“ verstehen. Die gehört natürlich auch dazu. Die großen Bühnenklassiker, die Opern und Sinfonien, die Bachpassionen und Beethovensonaten, die großen Werke der Literatur und Wissenschaft. Das alles haben wir in SWR2 natürlich zu bieten. Aber auch sehr viel mehr. Wir fragen nach der Zukunft der Arbeit, nach neuen Trends in der Popkultur, thematisieren aktuelle gesellschaftspolitische Fragen, wollen natürlich auch vergnügliche Unterhaltung bieten. Die Frage ist dabei, nach welchen Kriterien wir bei der Gestaltung unseres Programms vorgehen. Bei der Auswahl unserer Themen stellen wir uns zwei Fragen. Erstens: Welche Schöpfungen der Musik, der Literatur, der Kunst, welche Erkenntnisse der Wissenschaft sind es wert, immer neu für die jeweils lebenden Generationen entdeckt und interpretiert zu werden. Zweitens fragen wir uns: Wo müssen wir den Mut haben, Grenzen zu überschreiten und zum Beispiel ganz neue Hörspielformen und experimentelle Klangräume zu erschließen. Deshalb produzieren wir akustische Kunst und vergeben Aufträge an zeitgenössische Komponisten. Wir Kulturradios beschreiben nicht nur Kultur, wir betreiben sie auch. Indem wir die Kulturveranstalter unserer Sendegebiete miteinander vernetzen. Indem wir Wort und Musik in einer Weise produzieren und senden, wie das nur ein Kulturradio kann. Noch ein wichtiger Punkt bei der Gestaltung unseres Programms: Wir reagieren mit unseren Sendungen auch auf die großen gesellschaftlichen Defizite - die Orientierungslosigkeit, die abnehmende Dialogfähigkeit, den fortschreitenden Sprachverlust und die politischen Ohnmachtsgefühle vieler Menschen. Und welche Rolle spielt bei alledem nun die Quote? Natürlich freuen wir uns, wenn uns möglichst viele hören. Aber wir wissen auch, dass wir immer ein Minderheitenprogramm sein werden. Immerhin: Täglich hören uns gut 300.000 Menschen – eine sehr stolze Minderheit. Fazit: Ich freue mich über jeden, der unsere Sendungen hört und sich an ihrer faszinierenden Fülle erfreut. Retten muss uns wirklich niemand.

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