Radio Days (3)

07.10.2014

Eine "Schweigeminute" bitte! Noch eine. Verdammt, es ist ein Kommen und Gehen auf dieser Welt. Heute also auch Siegfried Lenz. Fort ist er. War auch ein Radiohörer. Mehr noch, einer, der auch Hörspiele schrieb, zu- und nachhören konnte. Gebt mir nur fünf Sätze, vertraut mir, ich verstehe auch noch den sechsten! Es gilt das gesprochene Wort und nicht alles ist Easy Listening. Muß auch nicht. Wie sagte es Peter Härtling noch: „Geschichten müssen mich berühren, mich schwer atmen lassen!“ Und dann wieder mit Schubert auf Winterreisen. Manchmal spüre ich sehr genau, was alles an Gehörtem in mir ist und dann fühle ich mich reich und finde es schade, daß soviel Lärm gerade dort ist, wo ich noch immer hören möchte,....wie der Hans-Joseph Ortheil heute morgen im Deutschlandradio, dem allzu hohes Tempo Kopfschmerzen bereitet und dem Ruhe Schreib- und Lebensbedingung ist. Wobei mir sofort der Federico Fellini einfällt: „ Wenn wir alle etwas weniger laut wären, vielleicht könnte man dann verstehen!“ „Verstehen“ ist ein gutes Stichwort für die heutige dritte Folge meiner „Radio Days“. Schon als Kind wollte ich verstehen, was mir, was uns da im Nachkrieg geschah und immer war es das Radio, das mir dabei half. Nehmen wir nur den Kinder- und Jugendfunk der frühen Jahre: „…. manchen Leuten in Waldhagen ist es gar nicht recht, daß Krämer Schnack solche Cowboypistolen verkauft., denn überall auf der Straße knallen und lärmen die Jungen damit herum. Gestern abend auch. es war schon dämmrig, als etwas Aufregendes passierte. (Kinder/Schießen)Winnetou kommt...Peng....Peng,....Peng....Aua, ich hab keine Munition mehr, ich geh nach Hause...Ich komm mit...Ach, Quatsch, ihr bleibt hier, gleich wird es dunkel, da können wir prima Gangster spielen....Mann, sei still, ich krieg die Jacke voll, wenn ich zu spät komme, nicht Du!“ Heinz Reincke. Seit ein paar Jahren ist auch er selig. Wenn der mir Ende der 195Oer-Jahre „Neues aus Waldhagen“ erzählte, spürte ich nichts als Nähe und Wärme - norddeutsch, rauh und freundlich. Der Reincke verstand mich ziemlich gut und erzählte im Radio tatsächlich Geschichten, in denen Jungens vorkamen, die zu Hause „die Jacke voll kriegten“ - genau wie ich. „Und mal ehrlich“, grinste mich Jahre später Bodo Morshäuser am Berliner Nollendorfplatz an: „Wir haben doch fast alle die Fresse voll bekommen!“ Ohrfeigen, Hintern versohlen, Ohrendrehen, Schläge auf den Hinterkopf, Einsperren, Eckestehen, alles war im Angebot. Bei mir zu Hause gab es meistens was mit dem Teppichklopfer: „Damit Du nicht wirst wie Dein Vater!“, schrie meine Mutter. Nutzte aber nix. Eines Tages kam Oma Frieda in unsere Wohnung, meine Mutter war mit dem Bruder fort und mein Vater irgendwo, Oma setzte also ihren Hut ab, packte ein paar Klamotten in meinen kleinen Koffer und machte ein ernstes Gesicht: „Das geht so nicht weiter! Du kommst jetzt mit!“ Ich wußte nicht, wie mir geschah, erinnere mich nur, daß ich mich eine halbe Stunde später in einer kleinen Dachkammer wiederfand - samt Sofa, Tisch und einem Radio: eine elfenbeinfarbene „Philetta 203“. Nur für mich. Und später darin die Stimme vom ollen Kästner, den Oma Frieda so gern mochte: „Damals gab es noch einen deutschen Kaiser. Er hatte einen hochgezwirbelten Schnurrbart im Gesicht. Und so banden sich die deutschen Männer, morgens nach dem Rasieren, eine breite Schnurrbartbinde über den Mund, sahen albern aus und konnten eine halbe Stunde lang nicht reden!“ Als Erich Kästner zu mir vom Bart des Kaisers sprach, saß Oma auf dem Sofa neben mir und nickte lachend: Zu Wilhelms Zeiten war sie selbst noch Kind gewesen. Damals in Berlin. Und musste ein Matrosenkleidchen tragen. Zeigte mir Fotos von Vater, Mutter, Schwester und dann wieder der Kästner: “Ich bin noch mit der Pferdebahn gefahren, der Wagen lief schon auf Schienen, aber er wurde von einem Pferd gezogen und der Schaffner war zugleich der Kutscher und knallte mit der Peitsche!“ Oma Friedas Wohnung war nicht groß, nur Stube, Küche, Außenklo, deshalb hatte sie für mich diese klitzekleine Dachkammer gemietet - ein paar Quadratmeter, mit schrägen Wänden aus Holz, nackten Dachpfannen und darin eine Luke, durch die des Nachts die Sterne funkelten. Was für Nächte: Über mir dieser brüderliche Himmel und neben mir das leuchtende Radio, das mich mit der ganzen Welt verband - auf UKW, Mittel- oder Kurzwelle. Meiner Oma ging es nicht anders. Wenn ich aus der Schule kam, tönte aus ihrem Stuben-Radio immer schon laute Musik. „Von einem ganz großen Orchester!“, erklärte sie mir: Geigen, Flöten, Harfe, Flügel, all das. Die alte Frau liebte klassische Musik und erst recht die Oper. „Setz dich zu mir und hör zu!“, flüsterte sie immer. Dann hockte ich mich in die Sofaecke und flog mit ihr fort. Und wollte eigentlich niemals mehr zurück.

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