Radio-Transformation

09.02.2014

Das Radio ist ein extrem wandelbares und anpassungsfähiges Medium. Die verschiedenen Faktoren und Elemente dieses Wandels möchte ich heute beleuchten. Zunächst hat das Radio in den 90 Jahren seines Bestehendes einen tief greifenden Funktionswandel einerseits vom Einschaltmedium zum Tagesbegleitmedium und andererseits vom Familien- zum Individualmedium durchlaufen. Seinen Stellenwert muss man innerhalb der gesamten Medienlandschaft betrachten. Er veränderte sich zunächst im Verhältnis zum Fernsehen und seit einigen Jahren auch im Verhältnis zu den Online-Medien. Mit diesem Wandel war eine Verbreiterung und „Spartierung“ des Angebots verbunden. An die Stelle von Vollprogrammen mit „etwas für jeden“ sind Servicewellen und Formatradios getreten. Das Publikum kann aus einer Fülle von Radiosendern wählen. Die konsequente Anwendung des Formatradioprinzips zunächst durch die privat-kommerziellen und später auch durch den Großteil der öffentlich-rechtlichen Programme hat die Hörgewohnheiten des Publikums verändert. Trotz eines ständig wachsenden Medienangebots bei gleichzeitig begrenztem Zeitbudget bleiben die Hörer dem Radio (und ihren Lieblingsprogrammen) treu. Verantwortlich dafür ist gerade der Umstand, für den das Medium am meisten gescholten wird: Als akustisches Medium nimmt es nur einen Sinn in Anspruch und stört nicht bei anderen Tätigkeiten. Radio ist vor allem ein Begleitmedium, das dem Hörer ermöglicht, Musik und Informationen zu empfangen, während er anderen Tätigkeiten nachgeht. Natürlich haben sich außer der Nebenbeirezeption auch andere Rezeptionsmodi mit stärkerer Aufmerksamkeit erhalten. Diese aufmerksamen Hörer sollten nicht vernachlässigt werden, auch wenn sie nicht die Mehrheit stellen. Radio ist (wie alle Medien) Teil eines nationalen Mediensystems, das seine rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen bestimmt. Mediensysteme unterscheiden sich international (auch in Europa) erheblich und deshalb hat das Radio in verschiedenen Ländern einen unterschiedlichen Stellenwert und die Sender produzieren nationalspezifische Programme. Für die bundesdeutsche Radiolandschaft besonders wichtig war die Einführung des dualen Rundfunksystems Mitte der 1980er Jahre. Mit der Zulassung von privat-kommerziellen hat sich das Programmangebot deutlich vergrößert. In Deutschland werden über 300 Radiosender über die Antenne verbreitet. Allerdings ist der deutsche Rundfunk föderal organisiert und die Radiolandschaft ist überwiegend regional oder gar lokal strukturiert. Ein weiterer wichtiger Transformator des Radios ist der technologische Fortschritt. Neue Technologien wirken sich auf die Produktion, Verbreitung und Rezeption des Hörfunks aus und natürlich auch auf die Programme selbst. Mit der Digitalisierung und Einführung von computergestützter Musikprogrammplanung änderte sich die Praxis der Programmproduktion. Das Team aus Techniker und Moderator wird zunehmend von Selbstfahrerstudios ersetzt, in denen der Moderator für den reibungslosen Ablauf allein verantwortlich ist. Musikredakteure müssen mit einem Rollenwandel zurechtkommen. Im Zusammenspiel mit der Entwicklung des deutschen Formatradios hat computergestützte Musikprogrammplanung dazu geführt, dass die Abfolge der Musikstücke einem streng reglementierten Stundenablauf folgt. Die inhaltliche Dramaturgie wurde abgelöst von klangästhetischen Abfolgen. Die Musikstücke werden entsprechen dieser klangästhetischen Kriterien in Kategorien eingeteilt. Die Zusammenstellung des Musikprogramms kann dann der Computer selbständig entsprechend der vorab festgelegten Kategorienabfolge übernehmen. Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Bei einigen Sendern (wie z.B. Deutschlandradio Kultur) kann man an der Playlist erkennen, dass das Musikprogramm noch (oder wieder) händisch zusammengestellt wird. Mit dem Internet schließlich haben sich viele Online-Radioprogramme entwickelt, die sowohl von Profis als auch von Laien produziert werden. Nahezu alle konventionellen Programme sind auch per Live-Stream zu empfangen. Daneben haben sich auch Jedermann-Programme etabliert. Mit dem Internet wird die Begrenzung der Anzahl von Radioprogrammen durch Frequenzen aufgehoben. Einzelne Sendungen werden als Podcasts zugänglich gemacht. So kann die Linearität des Radioprogramms, das den Hörern seine eigene Zeitstruktur aufzwingt, aufgehoben werden. Jeder Hörer kann sein eigenes Lieblingsprogramm zusammenstellen und jederzeit und mit Unterbrechungen hören. Dabei stellt sich aus kommunikations- und medienwissenschaftlicher Sicht allerdings die Frage, ob dies tatsächlich noch Radio ist, oder ob es sich um ein eigenständiges akustisches Medium handelt: Speichermedium oder akustische Zeitschrift? Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen. Eine weitere wichtige Neuerung, die mit dem Internet einhergeht, ist die Verbindung von Radio und sozialen Medien, die Hörern und Produzenten neue Möglichkeiten der Interaktion bietet – wie beispielsweise in diesem Blog.

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