Rundfunk funkt(e) rund

02.06.2015

das wort rundfunk gibt es schon etwas länger als seit 1924. damals startete in deutschland das, was im angelsächsischen genauso hieß, nämlich broadcast (weit-werfung). auch das wort "radio" enthält das rundherum funken, nämlich als radiation mit sozusagen einem radius – soweit die antenne reicht.

die antenne ist der entscheidende punkt: von ihr geht die "sendung" aus, sie ist im zentrum des radius, in dem der sender herumfunkt. viele menschen hielten das vor 90 jahren für zauberei, aber erst heute, in zeiten des internets, wird klar, was technisch trivial ist: wir können in dem bereich, in dem die antenne die sendungen herumfunkt, beliebig viele empfänger aufstellen, es schwächt weder den empfang der anderen, noch die antenne, von der alles ausgeht.

die rundfunk-betreiber bauten höhere antennen und leistungsfähigere verstärker, um broader zu casten, also mehr radius abzudecken, also mehr hörer zu erreichen.

das verfahren, worüber heute immer mehr menschen rundfunk (und fernsehen) konsumieren, ist völlig gegensätzlich, mit weitreichenden konsequenzen: sie bestellen daten über ihren internet-anbieter und bekommen sie frei haus geliefert. daten können vieles sein, und eben auch radiosendungen. es sind dann keine sendungen mehr, sondern lieferungen. sie werden nicht rund-gefunkt, sondern paketweise individuell zugestellt.

während es der sendeantenne wurscht war, wie viele empfangsantennen ihr entgegenwinkten, wissen die sender beim vertrieb übers internet ganz genau, wohin sie die sendung liefern. es ist enorm teuer, sie jedem einzelnen zu liefern. der betrieb einer leistungsfähigen UKW-sendeantenne kostet viel, aber ein backbone, an dem tausende hörer sendungen saugen, wird mit jedem hörer teurer und teurer. als die sender vor ca. 15 jahren mit dieser verbreitungsmethode anfingen und backbones und datenleitungen viel teurer waren als heute, war in den funkhäusern oft zu hören: "was machen wir um himmels willen, wenn uns mehr leute übers internet, statt über antenne (und kabel) hören?"

trotz des preisverfalls für internet-server wäre z. b. SWR 3 bankrott, wenn von heute auf morgen alle hörer auf online-empfang umschalten würden.

solange das nicht der fall ist und die gemeinde der antennenlosen nerds im rahmen bleibt, überwiegt der vorteil, dass der sender sehr genau weiß, wann wie viele hörer aus welchen regionen wann einschalten, wie lange dabei bleiben und wann abschalten. SWR 3, um diesen populären sender noch einmal zu erwähnen, nutzt zudem die internetseite massiv für eigenwerbung, gewinnspiele, all das, was über antenne gar nicht gut geht und was man "hörerbindung" nennt. beim hören übers internet ist der hörer tatsächlich über seine IP-daten eine zeitlang an den sender gebunden. die antenne spürt diese bindung nicht. sie sendet einfach das radio in die welt hinaus. die betreiber der sender müssen mühsam ermitteln, wer im antennenwald was wann hört, und es stimmt repräsantativ schon, aber eigentlich stimmt es überhaupt nicht. eine währung wie die verweildauer bei einzelnen sendungen, über die stellen, wo signifikant viele hörer den radio-tatort ausschalten, lässt sich mit dem modell des rund-funks nicht herstellen. es ist für amazon von unschätzbarem wert, wenn ihre kindle-bücherleser online sind, zu wissen, wenn sie bestimmte seiten schneller überblättern als andere.

die radiobetreiber sind zur zeit völlig überfordert, die beiden verbreitungswege zu bedienen. endlos lang wird diskutiert, ob man für eine sendung einen blog einrichtet und wer den blog zu welchem honorar redaktionell betreut. es fehlt an rücklaufkanälen für solche blogs, falls ein hörer einmal etwas vernünftiges, weiter führendes da hineinschreibt. wo sollte man ein solches posting weiterführen? in den UKW-rundfunk? nach wie vor ist es für viele hörer die größere ehre, sich über antenne zu hören als ein paar freundliche zeilen im blog zu lesen. es wird diskutiert, welche sendungen die rundfunkmacher im internet nachhörbar machen und für wie lange. wie geht man mit dem verwaltungsaufwand um, der durch hörer entsteht, die ein manuskript online finden und sich beim intendanten über den autor beschweren? über antenne hat sich bis vor wenigen jahren alles "weggesendet". im nichts vergessenden internet bleibt der rundfunk plötzlich einfach so da.

die verlockungen der online-verbreitung hat viele entscheider in den öffentlich-rechtlichen rundfunkanstalten korrumpierbar gemacht. ich meine damit weniger, dass sie mit dem öffentlich-rechtlichen auftrag brechen, wenn sie schillernde webseiten mit schönen "teaser"-fotos einrichten, statt den inhalt nach vorn zu stellen, so spröde er sein mag. der kommentar eines geschulten auslandskorrespondenten über ein flüchtlingsdrama braucht keinen "webauftritt".

die korrumpierbarkeit betrifft die grundhaltung der radio-entscheider dem hörer gegenüber: statt ihn wissen zu lassen, dass sie mit viel geld ein hochqualifiziertes team aus freien und festen autoren und redakteuren finanzieren, das tolle sendungen macht, bauen sie die autorenschaft massiv ab und hätscheln den hörer, indem sie "wohfühlprogramme" erfinden und damit – um im bild der online-verbreitung zu bleiben – kundtun: ich spüre dich über deine IP-adresse, geh bitte nicht weg, lass mich dich binden. das ist der reine witz, denn natürlich weiß keiner, wer dieser ominöse hörer ist, der gebunden werden soll; zweitens hat jemand, der produkte (sendungen) herstellt, die sich am gefallen orientieren, eh schon verloren. und schließlich gehört ein system, das kunden binden will, in den bereich der marktwirtschaft. dort sind antenne bayern, mannesmann und wattenscheid zuhause, aber ein von öffentlichen geldern finanzierter rundfunk nicht.

der verlust des bilds eines rundfunks, der kompetent rund herum ohne rücksicht auf verluste in die anonyme weite welt sendet, ist eine indiz für sein baldiges ende.

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