TAZ Medientagebuch Mai 2011

David Denk

David Denk ist Medienredakteur der TAZ Liebes Medientagebuch! Reporter müsste man sein. Hach, herrlich wäre das! Die Nixblicker in der Redaktion sähe man nur noch, wenn es sich nicht vermeiden ließe, stattdessen wäre man in der ganzen Republik unterwegs, ach was: der ganzen Welt, würde interessante Menschen treffen und Orte besuchen, zu denen man für gewöhnlich nicht einfach so vorgelassen wird. Wie -- nur um mal ein Beispiel zu nennen -- den Hobbykeller von Horst Seehofer, in dem seine Märklin H0 im Maßstab 1:87 ihre Runden dreht. In der Diesellok sitzt eine Plastikfigur, der Seehofer ein kleinkopiertes Porträtfoto von Angela Merkel ins Gesicht geklebt hat. Schreibt zumindest René Pfister in seinem Spiegel-Porträt über den bayerischen Ministerpräsidenten und löste damit einen journalistischen Skandal aus -- der weit über seine Geschichte hinausgeht und deswegen auch die Medienberichterstattung der taz im Mai prägte. Als Pfister am 6. Mai der vom Verlag Gruner + Jahr gestiftete Henri-Nannen-Preis verliehen wurde, erzählte er auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses nämlich freimütig, dass er nie in Seehofers Keller war, sein Reporterprivileg also nie in Anspruch genommen hatte. Seehofers Modelleisenbahn kannte er nur aus Erzählungen. Pfister war sich ganz offensichtlich keiner Schuld bewusst, doch die Bombe war geplatzt. Drei Tage später erkannte die Jury ihm den Preis wieder ab -- ohne Pfister anzuhören. Sie fühlte sich getäuscht und vom medialen Echo offenbar zu einer schnellen Entscheidung getrieben. Dabei sein ist alles -- das gilt nicht nur für olympische Spiele, sondern auch für die gute Reportage, die das eigene Erleben des Reporters von der Kolportage abhebt. Ist also nur erlebt erlaubt? So einfach ist die Sache nun auch wieder nicht. Szenen, die man selbst nicht miterleben konnte, am Schreibtisch zu rekonstruieren, ist üblich und auch nicht weiter anstößig -- was aber ist mit solchen, die man ohne weiteres selbst hätte miterleben können? An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs gestattet: Dieses Problem im Radio zu verhandeln ist reichlich merkwürdig, ist eine Hörfunkreportage doch nur MIT O-Tönen denkbar. Wer im Radio über Seehofers Modelleisenbahn berichtet, muss zuvor sein Mikrofon drangehalten haben. Hörensagen funktioniert in der Hörfunkreportage nicht. Pfister hingegen begnügte sich mit den Schilderungen von Seehofer und von zwei Kollegen und formulierte daraus einige wohlklingende Sätze. "Die Eisenbahn ist ein Modell von Seehofers Leben", heißt es etwa im Einstieg von "Am Stellpult". Pfister dient Seehofers Märklin im Keller also als Schlüssel zu dessen Charakter. Wie beim Spiegel üblich kennt der Autor den Porträtierten besser als der sich selbst. Wenn man es sich anmaßt, in fremde Köpfe reinzukriechen -- ist es dann zu viel verlangt, dass man wenigstens den Hobbykeller selbst in Augenschein nimmt? Anstatt allerdings die Frage zu diskutieren, wie manipulativ Printjournalisten mit Wirklichkeit umgehen dürfen, bashte die Süddeutsche Zeitung die Jury, forderte gar deren Rücktritt und die Bild-Zeitung bedankte sich mit ihrer ausführlichen Berichterstattung für eine Bild-Titelgeschichte im Spiegel vor einigen Wochen. Pfisters Arbeitgeber war sich genau wie der Autor selbst keiner Schuld bewusst. "Es ist eine allgemeine Szene, keine konkrete", sagte Spiegel-Edelfeder Dirk Kurbjuweit der taz, als würde diese Unterscheidung für den Leser irgend eine Relevanz haben. Der Leser glaubt, was er liest, und er liest, dass Horst Seehofer ein paarmal im Jahr in den Keller seines Ferienhauses steigt - und Pfister lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er selbst hinterhergestiegen ist. Das eigentlich Bittere am Fall Pfister ist seine Folgenlosigkeit. Wenn die einzige Konsequenz tatsächlich die Aberkennung des Henri-Nannen-Preises in der Kategorie Reportage bleibt, ist das ein Armutszeugnis für die journalistische Elite Deutschlands. Wer anderen, Politikern etwa, dauernd prüfend auf die Finger guckt, muss sich doch auch mit dem eigenen Tun und Lassen kritisch auseinandersetzen. Aber Selbstkritik lernt man beim Spiegel offenbar nicht, Hochmut schon eher. In einer ihrer traditionellen Hausmitteilungen schrieben die Kollegen nach der Aberkennung: "Der Henri-Nannen-Preis war der wichtigste deutsche Journalisten-Preis." WAR! Man möchte hinzufügen: Der Spiegel WAR mal das Sturmgeschütz der Demokratie, hat sich aber mittlerweile zu einem Elfenbeinturm der Selbstgefälligkeit entwickelt. Vielleicht muss man doch nicht unbedingt Reporter sein - zumindest nicht so einer.

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