Topographisches Radio – Werkstattbericht II

19.08.2015

Auf der Website von radio.aporee.org steht:
    
radio aporee continuously plays recordings from its global soundmap project. however, it's a responsive stream of sound, a topographic radio that listens, that may (or may not...) recognise and react to events, e.g. new sound uploads, listeners tuning in, mobile app activity, live sessions, phone calls etc. it's an ongoing experiment and exploration of affective geographies and new practices related to sound/art and radio.

Darin wird zum einen ein topographischen Radio behauptet, zum anderen, dass sein Gegenstand affektive Geographien seien. Was könnte das sein? Vielleicht werden diese Begriffe in der kurzen Beschreibung der Funktion dieses Radios etwas deutlicher:

Es handelt sich dabei um ein Web-Radio, also um Streaming. Meine ersten Experimente damit gehen bis in die 1990er Jahre zurück. Mit der Entwicklung der Klangkarte entstand bzw. entsteht ein Archiv von Feldaufnahmen, das den Ausgangspunkt dieses Radios bildet. Die Tausenden von Aufnahmen werden in einer zufälligen Abfolge gespielt und bilden eine Art von permanenten Klangstrom.

Sobald sich nun HörerInnen einschalten, reagiert dieses Radio auf diese Anwesenheit. Im Hintergrund werden sogenannte „Agenten“ aktiviert, die über verschiedenen Techniken versuchen, den ungefähren Ort dieser HörerInnen zu ermitteln. Mit den gefunden Koordinaten wird anschliessend eine Aufnahme aus der jeweiligen Umgebung ins laufenden Programm eingeblendet, oder auch Mischungen aus Sounds verschiedener Orte, je nach Anzahl.

Des weiteren kommuniziert das Radio mit ca. 2 Dutzend live-Mikrofonen rund um die Welt, die über das in Aix-en-Provence angesiedelte befreundete Projekt locusonus angebunden sind. Ebenso existieren Schnittstellen zum Telefonnetz in Form einer eigenen Nummer, verschiedene Funktionen für spontane Klangmischungen, abhängig von Ortskoordinaten, gesuchten Begriffen, empfangenen Emails usw.  Diese Agenten und Funktionen arbeiten zeitgesteuert, abhängig vom Vorhandensein verschiedener Auslöser („trigger“) oder als Folge direkter Intervention. Ihnen ist gemeinsam, dass sie ein Ereignis in ein Klangereignis übersetzen und somit hörbar machen können.

Diese Agenten sind experimentell und loten die Möglichkeiten der Kommunikation dieses Radios mit seiner Umgebung aus, zwischen dem konkreten geographischen Raum und seinen medialen Erweiterungen sowie den anwesenden Akteuren. Sicher führt nicht alles technisch Machbare auch zu interessanten Ergebnissen, aber im spielerischen Ausprobieren werden die Möglichkeiten deutlicher, Konzepte klarer, sind Überraschungen möglich. Das Hier und Jetzt des Radios wird verstärkt durch die Herkunft der Sounds von konkreten Orten, gleichzeitig durch seine geographische Beweglichkeit als Folge der Anwesenheit der HörerInnen.

In den letzten Monaten experimentiere ich zunehmend mit ad-hoc live-Sendungen von Orten und aus jeweiligen Situationen heraus. Die erforderliche Technik dazu ist vorhanden, jedes aktuelle Mobiltelefon oder Notebook ist dafür geeignet. Und jeder Ort (mit Internetzugang...) wird dadurch zum potentiellen Sendeort. Über eine Schnittstelle zu Twitter besteht zudem die Möglichkeit, über die aktuelle Aussendung zu informieren und somit eine spontane Hörerschaft herzustellen. Ein eingebauter „Radiorekorder“ archiviert auf Wunsch und ohne weiteres Zutun die aktuelle Sendung als Archivseite auf archive.org.

Alle diese Werkzeuge und Funktionen werden in Zukunft, über den aktuell recht kleinen Kreis von Sendenden hinaus, auch für interessierte Beitragende der Plattform radio aporee zur Verfügung stehen. Welche Formate und Praktiken sich daraus entwickeln werden, wird sich zeigen. Die ersten Gehversuche in dieser Hinsicht waren vielversprechend und haben zudem grossen Spaß bereitet, so z.b. eine Live-Schaltung über mehrere Stunden auf senderberlin.org mit internationalem Publikum und z.T nahtlosem Übergang zwischen Sendern und Empfängern. Die Freude am technisch Machbaren trat dabei nach einer Weile zurück, im Zusammenspiel der Beteiligten entwickelte sich die Umrisse eines spannenden Radioraums:

Richtung und Raumtiefe; die darin vergehende Zeit, die immer auch die subjektiv eigene ist, indem sie sich mit dem Ereignis im akustischen Feld synchronisiert; eine sich einstellende simultane Übersetzung des Gehörten in einen räumlichen und temporären Kontext, in dessen Zentrum man sich selbst befindet, dessen Grenzen jedoch offen sind.

Eine [...]  Bewußtseins-Landschaft, in die alle Erfahrung wirklicher Landschaft eingegangen ist, mit Orten und Gegenden, die sich wiederfinden auf Feldern einer poetischen Landkarte, in den Entwürfen einer möglichen Topographie.

(Jürgen Becker, Die Gedichte. Suhrkamp Taschenbuch 1995, Klappentext)

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