Try & Error

5. November 2013

Im Feuilleton der SZ fand ich vor ein paar Tagen einen Artikel. „In einer Online-Diskussion unter jungen Nutzern von 'Reaper', einer Software zur Musikproduktion“, stand da, „kam es vor einiger Zeit zu einer lebhaften Debatte darüber, ob (…) die eigene Kreativität von der eingesetzten Technologie (…) beeinflusst wird“. Viele Befragte sollen angegeben haben, daß sie „ohne die eingesetzten Techniken gar nicht in der Lage“ gewesen wären, Klangproduktionen herzustellen. Und darüber hinaus: Die Technik habe ihnen Tools in die Hand gespielt, die den Klang ihrer Stücke wesentlich inspiriert und verändert hätten. Wäre ich ohne digitale Soft- und Hardware in der Lage, Radiofeatures selber zu produzieren? Wohl kaum. Beeinflussen die digitalen Schnitt- und Produktionstools meine Kreativität? Aber sicher. Ich war, ehrlich gesagt, der Kritik am Digitalen, am technischen Fortschritt und der daraus vermeintlich resultierenden „Selbstausbeutung“ von RadioautorInnen, immer schon abhold, aus genau diesem Grund: Ohne die „digitale Revolution“ gäbe es mich als elektrischen Autor gar nicht. Das Digitale fördert keine Selbstausbeutung, das Digitale ist eine Selbstermächtigung. Bezahlbare Aufnahmemedien und Mikrofone; gecrackte oder frei erhältliche Schnitt- und Produktionsprogramme haben mir überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, eine eigene Handschrift im akustischen Feld zu etablieren. Das heißt: Das MANUSKRIPT (diese heilige Kuh des deutschen (nicht deutschsprachigen) Radiofeatures) als zweitrangig zu erachten (Manuskripte kann ich auch mit Schreibmaschine) und stattdessen die Klangproduktion als MEINEN TEXT (im semiologischen Sinne) zu begreifen. Wie sollte ich das tun ohne die „digitale Revolution“ und ihren mittlerweile bezahlbaren Errungenschaften? Vorher stand zwischen mir und „meinem“ Produkt die Maschinerie des öffentlich-rechtlichen Tonstudios, seiner Toningenieure, Dramaturgen und Regisseure. Es gab einen „Wellensound“, eine Stimmführung: kommensurabel, konsumierbar (es gibt ihn immer noch). ProTools, AVID oder Audacity, dazu Sony und Tascam aber haben den PUNK zurück ins Spiel gebracht: Drei Akkorde, und los geht’s. Natürlich können ausgebildete Toningenieure bessere Toningenieure mehr als ich; und natürlich sind Regisseure bessere Regisseure als ich. Aber ihre Produkte klingen nach ARD und nicht nach mir. Verschwunden ist technisch bedingt und Gott sei's gedankt auch die Große Geste des studiobeherrschenden Regisseurs, des Kapitäns auf dem Supertanker der Klangproduktion. Wedelnde Arme, scharfer Feldherrenblick, genaues Ohr und die Autorität, das gedungene Team aus Cutterinnen, Bandabfahrknechten und Tonmeistern zu dirigieren: Sie sind verschwunden zugunsten der einsam-fröhlichen Infinitesimal-Herumschieberei auf dem Display im Berliner Hinterhof, morgens um halb drei. Try & Error; Zufall; mal 'ne Musik versuchen und sie wieder weghauen; eine Sprachaufnahme machen und sie wieder löschen; die Gebundenheit an die eigenen Unzulänglichkeiten: All das ist mir bei weitem lieber als das vermeintlich kuschelige Ambiente einer Gruppen-Produktion in einem millionenschweren ARD-Studio. Reine Provokation eines egomanen Soziopathen? Klar. (Aber welche deutschsprachigen Produktionen haben in den letzten Jahren die großen Preise gewonnen? Eva Roither, Jens Jarisch, Antje Vowinckel, Walter Filz, Lorenz Rollhäuser, Helmut Kopetzky: Allesamt self producer und Maniacs hinsichtlich ihrer eigenen Produktionsweise... Dies nur nebenbei).

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