„Der Kapitalismus liebt die Stille nicht“

24. Oktober 2013

Ich bekomme für das Schreiben dieses Blogs kein Geld. Erst, wenn mein Text radiotauglich gekürzt, von einem Sprecher gesprochen und für SWR2 produziert worden, erst, wenn dieser Text hier zu Klang, also (möglichst versierter) Radio-Stimme geworden ist, gibt’s Honorar. Das ist der Deal, den ich mit dem Redakteur getroffen habe. Clemens Meyer erzählte mir (glaube ich) in einem Interview einmal, er habe für seinen Erstlingsroman 5000 € erhalten. Danach sei er auf Lesereise gegangen. Pro Auftritt gab's da knapp 500 €. Zehnmal vorlesen entsprach pekuniär also dem mehrjährigen Schreiben eines Romans. (Ich selbst habe für das Meyer-Interview, das zu einer Radiorezension wurde, 300 € bekommen.) Das Gleiche im Wissenschaftsbereich: Einzig die Teilnahme an einem Symposium und das Halten eines Vortrages dort gewährleistet die Honorierung, nicht das Verfassen (oder sogar Publizieren) eines „Aufsatzes“. Schon komisch: Die Profanierung des Schreibens bei gleichzeitiger ökonomischer Nobilitierung der Stimmgebung. Texte, die man vorlesen (lassen) kann, sind mehr Geld wert, als solche, die man schreibt, damit sie vom Leser / der Leserin gelesen werden. („Der Kapitalismus liebt die Stille nicht“. Byung-Chul Han. Interview, Schaubühne Programm, Berlin 2013/2014) Sprechen ist die Produktion von Sinn; Lesen der Versuch einer Seduktion zum je-eigenen Stimmefinden. Beim Lesen sich eine Stimme erträumen, der sehr intimen Phantasmagorie folgen, die eingeschriebene Stimme des Autors / der Autorin zu entdecken... das ist eigentlich das, was für mich TEXT ausmacht. Genaugenommen ist es auch das, was mir mein Featuremachen in den letzten Jahren zusehends bedeutet. (Akustische) Strukturen produzieren, die nicht mehr eindeutig sagen, was zu hören ist – sondern vielmehr vorführen; anspielen; zur Verfügung stellen. „Eine Produktion von Michael Lissek“: So endet jede meiner Sendungen. Vielleicht sollte ich das nächste mal in die Absage setzen: „Eine Seduktion von Michael Lissek“. Aber das krieg ich nicht durch. (Ist ja auch albern.)

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