4.5.2020 Ausnehmezustand fuer die Amsel
Feature von Rudiguricht
Dauer: 9:54 Minuten
Audio-Nr: #4694
Inhalt: Die derzeitige Ausnahmesituation sorgt nicht nur geografisch für eine Art Rückzug ins Private, auch der Blick auf das uns Umgebende ist weitgehend vernebelt, dabei findet nebenan (ganz wörtlich) eine Katastrophe größeren Ausmaßes statt, wenn wir die Zahlen der betroffenen Individuen betrachten. Aber nun ja, es handelt sich ja nur um einen Vogel ...
Ereignis Ort: 187, Seebener Straße, Giebichenstein, Halle (Saale), Sachsen-Anhalt, 06114, Germany
Skript: Wen würde das eigentlich wirklich stören, wenn nicht eine einzige Amsel mehr da wäre? - Würde das außer mir überhaupt jemand mitbekommen?
Seit 10 Jahren sterben Amseln in Deutschland - durch einen Virus…. im Alltag gar nicht so zu merken unbedingt. Die Amsel ist ja eigentlich - zumindest in den Städten- einer der häufigsten Vögel - sie brüten in Parks, in Gärten, und längst schon auch mitten in Neubaugebieten. Es müssen nur ein paar Büsche da sein oder wenigstens ein paar Pflanzen auf dem Balkon.
Das ist eigentlich schon sehr besonders- denn ursprünglich ist die Amsel ja wie alle Drosseln eher Waldbewohnerin gewesen. Aber in der Stadt gabs eben genauso viel Regenwürmer und dazu noch Abfälle - aber vor allem: weniger Feinde als in der sogenannten Natur. Und selbst wenn in Süddeutschland die Amsel wegen ihrer schwarzen Federn früher als Unheilsbringerin verschrien war- die Menschen mögen sie: sie fliegt nicht weg, wenn wir vorbeilaufen, sie ist uns einfach in die Städte gefolgt- egal, wie grau und dröge die sind. Und- Sie sind immer ein bisschen lebendiger als wir uns selbst fühlen. Na ja- und wenn wir schon so beim Menscheln sind: sie sind mutig und verteidigen ihr Nest sogar gegen Katzen und Krähen. Ihr Gesang ist laut und irgendwie besonders- und sie stehen nicht im Verruf wie die Tauben, irgendwelche für uns gefährlichen Krankheiten mit sich herumzuschleppen.
Aber genau hier trügt der Schein: die Amsel ist krank - und zwar durch einen Virus.
Das Virus selbst kommt aus Südafrika. Genetisch lässt es sich zurückverfolgen- es gibt dieses Virus- das Usutu-Virus schon seit 500 Jahren. Der Name kommt von einem südafrikanischen Fluss im Swasiland, in dem es das erste Mal nachgewiesen wurde. Klinisch zeigen die infizierten Vögel häufig Apathien und Störungen des zentralen Nervensystems wie Taumeln oder Kopf verdrehen. Schließlich hat das Virus vor allem bei Amseln eine sehr hohe Sterberate. Allein in einem Sommer vor 9 Jahren starben zwischen Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe Schätzungen zufolge 40.000 Amseln. Und das ist nur ein Beispiel für verschiedene Regionen. Insgesamt sind in dieser ersten großen Welle in Deutschland 2011/2012 fast eine halbe Million Amseln verendet.
… eine halbe Million…
Das Usutu-Virus ist ein von Mücken übertragenes Virus. Als Mitglied des Antigenkomplexes des japanischen Enzephalitis-Virus ist das Usutu-Virus eng mit etlichen menschlichen und tierischen Krankheitserregern verwandt, darunter zum Beispiel das West-Nil-Virus und das St.-Louis-Enzephalitis-Virus. Es wird durch einen typischen Zyklus mit Mücken und Vögeln in der Umwelt gehalten.
In Südafrika selbst haben die betroffenen Vogelarten offenbar schon viele Generationen Zeit gehabt, sich an das Virus anzupassen. In Europa allerdings, wo es Mitte der 90er Jahre zuerst aufgetreten ist, hat es tatsächlich eine Art Vogelsterben ausgelöst - nicht nur bei Amseln, auch bei Finken, Sperlingen, Eisvögeln und bei einigen Eulenarten. 2001 sorgte das Usutu-Virus in Wien für das fast komplette Verschwinden der Amsel aus der Stadt.
Für uns Menschen scheint das Virus ungefährlich zu sein - von ganz wenigen Fällen abgesehen. Aber die Amsel könnte in ganz Europa nahezu verschwinden.
Es ist schon eigentümlich, dass wir selbst Nachrichten über ein Massensterben von Vögeln einfach so hinnehmen. Als vor drei Jahren Millionen Seevögel vor der nordamerikanischen Küste verendet sind, hat es nur eine Handvoll Wissenschaftler bewegt, wieso das eigentlich so ist. Eine Hitzewelle im Ozean war schuld- das Plankton konnte nicht überleben, also sind die Seevögel einfach verhungert. Aber wer sieht schon mal die Schönheit eines Vogelfelsens oder das unglaubliche Treiben auf so einer kleinen Vogelinsel im Ozean. Wir haben ja schließlich Naturfilmer, die irgendwo auf diesem Planeten immer wieder die heile Welt entdecken. Irgendwo scheint es das unberührte Naturding ja noch zu geben. Das sollte uns ja wohl reichen, oder? Es gibt da so ein Kinderlied über die Lerche:
...
Die Lerche ist kaum noch zu hören irgendwo. Sie ist gemeinsam mit Rebhuhn, Grauammer und Wachtel einfach verschwunden wegen der endlosen Monokulturen auf den Feldern. Und irgendwann werden wir auch die Kinderlieder vergessen haben, weil es die Vögel gar nicht mehr gibt. Aber ich wollte gar nicht ablenken. Die Frage ist doch: was bedeuten uns die Vögel überhaupt? Wen kümmert es außer den Zoodirektor, wenn wie vor drei Jahren im Halleschen Zoo ein Bartkauz am West-Nil-Virus stirbt. Wir können davon ausgehen, dass dieser heimliche Vogel nicht nur hier im Zoo, sondern eben auch in den tiefen Wäldern Nordosteuropas am selben Virus sterben kann. Und: wird ihn jemand vermissen?
Werden wir den Gesang der Amsel hier vermissen, sollte sie demnächst einfach weg sein?
Die Natur wird die Amsel nicht vermissen- neue Arten entstehen vielleicht und wenn nicht, auch gut. Eine andere Art wird die freigewordene ökologische Nische besetzen, vielleicht der Grünfink oder die Singdrossel. (singt wieder: Amsel, Drossel, Fink und Star - und die ganze Vogelschar, unterbricht, lacht seltsam zynisch) Der Star wird übrigens auch immer seltener von Jahr zu Jahr. Hier ist der Mensch aber das Virus- keine alten Obstbäume mehr, in denen er wohnen kann, kaum noch Insekten wegen der Pestizide in der Landwirtschaft. Haben Sie einmal den verrückten Tanz der Stare im Schwarm über einer Stadt im Winter oder über den Schlafplätzen im Schilf großer Seen im Herbst gesehen? Phantastisch- ein Anblick, den man nicht vergisst. Es sei denn, es gibt ihn eben irgendwann nicht mehr - den Star.
Die nordamerikanische Wandertaube gibt es noch als Ausstellungsstück im Museum, obwohl sie vor 200 Jahren noch in Millionen-Schwärmen über die Städte hinweggezogen ist. Alle Welt kennt den Dodo (aber vor allem aus dem Kino, weil er in großen Animationsfilmen eine Rolle spielt, wie auch der Spix-Ara übrigens im Kinderfilm Rio). Den gibt ja wenigstens noch in Gefangenschaft, wenn auch nicht mehr in der sogenannten Natur.
Klinge ich zu pessimistisch?
In Assam in Nordost-Indien gibt es einen kleinen Ort, in dem jedes Jahr aus vollkommen unerklärlichen Gründen Tausende Vögel verenden. Sie stürzen einfach vom Himmel, große und kleine Arten, niemand weiß warum. Vielleicht ist eine magnetische Störung dafür verantwortlich, vielleicht eine andere Luftzusammensetzung. Die eigentlich interessante Frage dahinter ist eigentlich: was daran interessiert uns? Das Verschwinden der Vögel? Die Katastrophe? Das Zeichen für ein Ende der Welt? In China haben Landschaftsarchitekten eine Art Vogel-Flugplatz entworfen an der Küste, als Ausgleich für die überbauten Küstenregionen auf dem ostasiatischen Zugweg für Wasservögel. Gleichzeitig sind dort Plattformen und Hotels entstanden, so dass Menschen diese Schönheit vieler verschiedener Arten bewundern können. Ganz ähnlich betreut das Biodiversitätszentrum Halle-Leipzig-Jena seit ein paar Jahren einen künstlich angelegten subtropischen Wald in China, in dem sowohl die Vogel- und andere Tierarten leben können als eben auch die Dorfbewohner Holz entnehmen können. Das sind doch gute Nachrichten!
Aber zurück zur Amsel:
Ich bin gar kein großer Fan der Amsel. Als Ornithologe schaut man eher auf die seltenen Arten. Aber in der Stadt scheint sie mir schon der schönste Vogel zu sein- das Männchen mit diesem rabenschwarzen Gefieder und dem knallgelben Schnabel, den tiefschwarzen Knopfaugen mit feinem gelben Ring. Und natürlich: Dieser atonale Gesang, den man kaum imitieren kann.
(versucht, wie eine Amsel zu singen)
Die Eier der Amsel sind sehr schön - nicht größer als eine Daumenspitze, wunderbar zart gefleckt und irgendwie perfekt. Immer ein kleines Wunderwerk inmitten der Städte. Ich selbst habe als Kind eine junge Amsel aufgepäppelt, weil ihre Eltern offenbar Katzen zum Opfer gefallen sind. Ich bin vor und nach der Schule und vor dem Abendbrot die ganze Zeit unterwegs gewesen, um Regenwürmer zu sammeln- eigentlich genau wie die Amseleltern. Warum eigentlich? Was genau hat mein Mitgefühl für diese kleine Amsel erregt. Ich weiß nicht, ob ich das für eine kleine Elster gemacht hätte. Es ist schon interessant, was uns mit einigen Vogelarten verbindet- zum Beispiel mit der Amsel.
Es ist schon die dritte große Usutu-Viruswelle, die zum sogenannten Amselsterben führt. Und die wirkt vor allem da, wo vorher dieser Virus eben noch nicht aufgetaucht war. Das heißt, am Rhein oder in NRW überleben offenbar mehr Amseln das Virus als hier. Aber seit drei Jahren gibt es offenbar einen zweiten “frischen” Virusstamm, der den Sprung über das Mittelmeer geschafft hat und so ist in Mitteleuropa jetzt fast jede Region davon betroffen, mit Ausnahme der Inseln Irland, Großbritannien und Island.
Trotzdem: Auch hier scheint ein Teil der Amsel-Population inzwischen immun zu sein. Deshalb werden sie vielleicht doch überleben. Oder das Usutu-Virus mutiert noch einmal und betrifft dann vielleicht nicht nur Amseln, sondern noch stärker auch kleinere Singvögel - vielleicht auch in unseren Städten. Und wenn es dann ganz still wird am Morgen - dann müssen wir vielleicht ein Morgenkonzert erfinden. Vielleicht gibt es dann Lautsprecher in allen Parks, die uns die verschwundenen Vogelstimmen vorgaukeln. Oder es gibt noch mehr Naturfilme und vielleicht ganze Fernsehprogramme mit den schönsten Vogelaufnahmen der letzten 50 Jahre ...
Gesendet in SWR2: 24.05.2020
Upload Datum: 04.05.2020
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