Jutta Brückner

Über das Kulturradio der Zukunft

Das Kulturradio ist ein Platz für Kultur. Von Jutta Brückner: Das Kulturradio ist ein Platz für Kultur, aber seit einiger Zeit gibt es eine Auseinandersetzung darüber, was Kultur denn sei. Ist es das, was man heute Hochkultur nennt, oder gehört dazu auch alles, was in einem erweiterten Kulturbegriff Platz hat: vom Essen bis zum Sport? Programmdirektoren zitieren seit Jahren Untersuchungen, nach denen immer weniger Jugendliche mit den Werken der Hochkultur etwas anfangen können und fordern, dass das Kulturradio sich der Popkultur öffnen muss. Denn die hat den Charme einer Wundertüte: alles durcheinander, kurz und knackig und zum sofortigen Verzehr geeignet. Der Zuhörer kann im Zustand der bewusstlosen Zerstreutheit gleichzeitig Radio hören, essen telefonieren und arbeiten. Wer das Kulturradio so umbauen will, kann es ebenso gut gleich abschaffen. Natürlich muss es sich verändern, weil wir uns alle ständig verändern müssen. Aber seine Existenz hängt daran, dass es anders sein darf als die anderen Wellen in Inhalt und Form, und dass es sich dafür nicht ständig entschuldigen muss. Jede Anbiederung an die vermuteten Wünsche eines breiteren Publikums und seines Musikgeschmacks wäre sein sicherer Tod. Wer sich so den modernen Zeiten anpassen will, handelt mit den abgetakelten Werten einer Gesellschaft, die schon im Finanzcrash bewiesen hat, dass sie am Ende ist. Denn überall wehrt man sich gegen eine aus den Fugen geratene Moderne. In der Philosophie denkt man über das "gute Leben" nach, über Entschleunigung und Nachhaltigkeit, in Großbritannien kämpfen Nobelpreistzräger gegen den Druck einer radikalen Merkantilisierung, die die geistigen, moralischen und sozialen Grundwerte an den Universitäten zum Verschwinden bringt. Aber in Deutschland beugt sich der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk, dem niemand etwas vorschreiben kann, freiwillig unter die Quote, die die Massenzustimmung zum Qualitätskriterium erhebt. Quoten messen nur, ob ein Radio eingeschaltet ist. Sie messen nicht, ob das Gehörte irgendeine Wirkung im Zuhörer hinterläßt, ja ob er überhaupt zugehört hat, während er isst und telefoniert. Kultur baut auf Langzeitwirkung. Das Kulturradio holt die Hörer nicht da ab, wo sie sind. Es provoziert sie im Gegenteil, sich selbst zu bewegen, dorthin, wo unbekannte Dinge zu entdecken sind . Es hat von der Aufklärung die klassische Aufgabe geerbt, den Menschen zu verführen zum künstlerischen Genuss durch die Ausbildung von Bewusstsein, ästhetischer Empfindung und Urteilskraft. Denn ohne diese altmodischen Fähigkeiten ist die Hochkultur - oder mit dem klassischen Wort: die Kunst - Kunst versteht nur, wer sich um sie bemüht. Belohnung derer, die es wollen, ist die Erfahrung, welchen Reichtum es noch gibt. außerhalb der Unterscheidung von 0 und 1 und dass auch noch andere Urteile als das Facebook-like möglich sind. Es geht nicht einfach darum, dass der Rundfunk unser kulturelles Erbe bewahren muss, weil wir uns als Kulturnation empfinden und es in den Rundfunkverträgen steht und das Bundesverfassungsgericht das so bestätigt hat. Das Kulturradio muss ein Ort bleiben, der uns hilft, die Brüche unserer Gesellschaft und unserer Zeit und unseres Menschenbildes zu überleben. Denn die große Lüge unserer Zeit besteht aus 2 Sätzen: der erste: Du bist ein einzigartiges Individuum, der zweite: Sei genau so wie alle anderen auch. Dem Individuum zu helfen, wirklich einzigartig zu sein und das in aller Bescheidenheit, das ist die Aufgabe von Kulturradio. Vor diesen großen Aufgaben schmilzt jede Dichotomie von Pop- und Hochkultur. Egal, ob es sich um Telemann oder Iggy Pop handelt , es geht darum, mit wie viel Kennerschaft und Dringlichkeit man das Gespräch mit dem Hörer sucht und wie viel Zeit man sich dabei lassen darf. Das Tempo des Lebens ist schneller geworden, aber nicht das Tempo, in dem ein Mensch neue Erkenntnisse gewinnt. Jede Programmreform wird nur dann gelingen, wenn die Radiomacher im Kulturradio wieder das Gefühl bekommen, geschätzt zu werden in ihrer Besonderheit. Ihr Feind ist nicht nur die Quote, die ein Feind jedes intelligenten Radiomachens ist, es ist auch das Format mit vorgeschriebenen Minuten-Längen Statt dessen kann dieses Radio den ganzen Tag wie ein Gesprächspartner sein, mit langen und kurzen Features und Essays, unterschiedlicher Musik von gestern und heute, Berichte aus den Labors, den künstlerischen und den wissenschaftlichen, in denen heute nur halb verborgen am Neuen Menschen gearbeitet wird, und mit echten Streitgesprächen ohne Formelkompromisse. Interessante Formen für alles das hat das Kulturradio immer schon entwickelt.

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