Ror Wolf zum 80. Geburtstag

Erinnerungen von Hans Burkhard Schlichting

Hans Burkhard Schlichting: Am Tag vor meinem Beginn im Südwestfunk traf ich mich mit Ror Wolf in einem Frankfurter Lokal. Dabei versprach er mir ein neues Hörspiel. Mein neuer Chef Hermann Naber sagte, daran glaube er erst, wenn der Text auf dem Tisch liege. Er kannte Ror Wolf noch aus den sechziger Jahren als Redakteurskollegen im Hessischen Rundfunk und hatte ihm in seiner neuen Position als Baden-Badener Hörspielchef Angebote für sein erstes Hörspiel gemacht. Das wurde dann aber beim Kölner WDR produziert. „Der Chinese am Fenster“ – ein Stück, das alle Erwartungen an eine zusammenhängende Geschichte hinter sich ließ und den Autor wie sein Publikum in eine Freiheit versetzte, an die zumindest Ror Wolf sich noch jetzt gern erinnert. Es war der Auftakt einer Hörspiel-Trilogie unter dem spielerischen Titel „Auf der Suche nach Doktor Q.“, in der auch das Publikum in die Freiheit versetzt war, sich aus Versatzstücken eigene Geschichten zusammenzufügen. - Von dem, was Frankfurter Zeitgenossen durch den Kopf ging, handelten seine nächsten Hörspiele „Die Einsamkeit des Meeresgrundes“ und der „Bananen-Heinz“. Nahe an der mündlichen Sprache gebaut, letzteres sogar aus Originalton gefügt, waren beides Betrachtungen der Umwelt aus dem Mund von alten Menschen, die auf ihre Weise bereits auf der Reise in die Vergangenheit sind. Von einer buchstäblichen Reise in die Vergangenheit handelte dann der versprochene Hörspieltext, der fünf Jahre nach meinem Baden-Badener Beginn auf dem Schreibtisch lag: die ‚Radio-Ballade’ vom „Leben und Tod des Kornettisten Bix Beiderbecke aus Nord-Amerika“. Das Stück wurde in Heinz Hostnigs Regie beim Südwestfunk poduziert. Der Hessische Rundfunk, der Norddeutsche Rundfunk und der Westdeutsche Runfunk hatten sich als Koproduzenten angeschlossen. Nach der Ursendung durch die beteiligten Anstalten Anfang 1987 wurde das Stück mit bisher über 70 Übernahmen und Wiederholungen im deutschsprachigen Raum zum erfolgreichsten Hörspiel von Ror Wolf. Mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden für das Jahr 1987 ausgezeichnet, war dieses Werk auch der ausschlaggebende Anlaß, Ror Wolf 1992 für sein gesamtes Radioschaffen mit dem Frankfurter Hörspielpreis auszuzeichnen. Der Titel spielte auf Rilkes „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ an. – Hinter dem Stück stand Rolf Wolfs Emanzipationsgeschichte aus der eigenen Familie, die sich aus seinem Prosatext „Mitteilungen aus dem Leben des Vaters“ erahnen lässt. Diese Emanzipationsgeschichte lief über den historischen Jazz, von dem auch das Hörspiel handelt, nicht über Worte und Parolen. 1932 in Thüringen geboren, war er aufgewachsen mit der Erfahrung von zwei Diktaturen, die bei denen, die in ihnen aufwuchsen, wenig übrigließen vom Vertrauen in den Wert der eigenen Erfahrung, aber ein Mißtrauen hinterließen gegenüber allem scheinbar Verbürgten, den Kopfgeburten der Illusion, öffentlicher Rhetorik und allzu leichter Verständigung. In der DDR nicht zum Studium zugelassen, wurde er Bauarbeiter und gehörte zu den Aufständischen des 17. Juni 1953. In den Westen geflüchtet, lebte er zunächst in Flüchtlingsheimen, verdiente dann sein Geld in Stuttgart als treppensteigender Anbieter von Zeitschriftenabonnements. Wie eine Erlösung erschien ihm ab 1954 sein Studium in Frankfurt. – Einer seiner Professoren war Theodor W. Adorno, der zu den führenden Ideologiekritikern jener Jahre gehörte. Anders als er aber vertraute Ror Wolf auf die Widerständigkeit der Ausdrucksformen des Jazz. Später hat er sie gerade an Bix Beiderbecke gezeigt, dem ersten weissen ‚Cool-Solisten’ des Chicago-Jazz, der für ihn aus dem Raster der Adorno’schen Kritik am Jazz-Kommerz fiel. Ror Wolf wurde Redakteur der damals sehr literarischen Frankfurter Studentenzeitung ‚Diskus’, in der er selbst seine ersten Veröffentlichungen hatte. Und von 1961 bis 1963 war er Literaturredakteur des Hessischen Rundfunks. Gegen seinen Chef vertrat er die Auffassung, dass sich aus der Gegenwartsliteratur auch ein Bild der Gegenwart erschließen lasse und dass es Aufgabe eines publizistischen Mediums sei, dies zu zeigen. Noch während seiner Medienzeit dachte er zum ersten Mal ans Hörspielschreiben, realisierte seine Pläne aber erst, als er sein Leben als freier Schriftsteller zu bestritt, der er bis heute geblieben ist. Die Fülle, auf die er beim Schreiben rekurriert, ist die des Zitierbaren und Angesammelten, des Fragwürdigen und Ungesicherten – von persönlich verbürgter Erfahrung zu reden, die doch hinter alledem mitschwingt, hat er sich bis heute aufgespart. Aber sein inzwischen umfangreiches Werk macht solch eine Grunddisposition erkennbar. „Die Durchquerung der Tiefe in dreizehn dunklen Kapiteln“ hieß sein letztes Originalhörspiel. Und seine künftige Hörspielarbeit wird zeigen, wohin die Reise beim Auftauchen aus der Tiefe geht. Hans-Burkhard Schlichting hat gerade einen Band mit den literarischen Hörspielen Ror Wolfs herausgegeben. Erschienen im Schöffling-Verlag: "Die Einsamkeit des Meeresgrunds" ist der Titel, eine CD mit den Hörspielen liegt bei. Die gerade wieder aktuellen Fußball-Collagen gibt es in einem anderen Band der Werkausgabe bei Schöffling.

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