Ob eine Reportageaufnahme spannend klingt, hängt zuerst von der richtigen Platzierung des Mikrofons ab. Entscheidend ist dabei, dass ein Mikrofon nicht von außen auf eine Sache zeigt, sondern daran „beteiligt“ ist - und damit den Hörer mitnimmt, mitten hinein ins Geschehen. Denken Sie beispielsweise daran, welchen Unterschied es bei einer Achterbahn macht, ob Sie zuschauen oder selbst mitfahren.
Die Richtung entscheidet
Schallquellen strahlen ihren Klang im Allgemeinen in eine bevorzugte (typische) Richtung ab. Manchmal lässt sich keine einheitliche Schallrichtung ausmachen, zum Beispiel bei Atmo-Aufnahmen im Freien, bei der Musik einer Orgel, die im ganzen Kirchenschiff widerhallt oder bei einem kilometerlangen Demonstrationszug. In solchen Fällen setzen Sie am besten Kugelmikrofone ein, die Klänge von allen Seiten gut aufnehmen. Ein Nierenmikrofon würde ? wegen seiner Richtwirkung ? nur einen Teil der akustischen Szenerie abbilden.
Präsenz kontra Atmosphäre? Die Raumbalance
Unter Raumbalance versteht man das Verhältnis zwischen dem direkten Klang einer Schallquelle und dem diffusen Schall, der aus der Umgebung kommt, also etwa Hintergrundgeräusche oder der Nachhall des Raumes. Das Verhältnis dieser beiden Schallarten können Sie über den Abstand des Mikrofons zur Schallquelle
verändern: Ein nah platziertes Mikrofon nimmt vor allem die Schallquelle selbst auf und kaum Nebengeräusche. Ein großer Mikrofonabstand dagegen bildet mehr die diffusen Raumanteile ab, die Schallquelle verliert Dominanz und gerät mit zunehmendem Mikrofonabstand immer mehr auf eine Ebene mit vielen anderen Geräuschen aus der Umgebung.
Bei kleinem Mikrofonabstand klingt eine Aufnahme sehr präsent. Bei Sprache ist dies im Interesse der Verständlichkeit notwendig. Ein zu geringer Abstand erzeugt allerdings eine unnötig "analytische" oder gar "klinische" Aufnahme , bei der Sie jedes Schmatzen, jede Lippenbewegung eines Gesprächspartners überdeutlich hören, während objektiv mächtige Klänge der Umgebung dagegen unangemessen klein und harmlos wirken.
Mit zunehmendem Mikrofonabstand gewinnt eine Aufnahme an Homogenität, der akustische Raum und die Atmosphäre werden hörbar. Zu große Mikrofonabstände erzeugen aber diffuse und indifferente Aufnahmen , bei denen Einzelgeräusche zu einer konturenlosen Klangsauce verschmelzen.
Das Stereopanorama
Das Wichtigste für Stereoaufnahmen ist ihre "akustische Breite", denn dadurch unterscheiden sie sich von Monoaufnahmen. Auch die extremen Positionen müssen im Stereoklangbild vorkommen ? das "Ganz-links-außen" und das "Ganz-rechts-außen".
Das soll nicht heißen, dass der berühmte Zug immer von links nach rechts durch das Stereobild donnern muss. Er kann sich auch aus der Mitte heraus nähern und rechts am Mikrofon vorbei zum Stillstand kommen. Anschließend eilen die aussteigenden Fahrgäste links und rechts am Mikrofon vorbei ? ein Auseinandereilen von der Mitte zwischen den Lautsprechern extrem nach außen. Der Hörer befindet sich zwangsläufig mitten in der Szene. Eine Stereoaufnahme erhält durch den Ort des Mikrofons immer auch eine Bedeutung (Semantik) wie Filmaufnahmen durch den Standort der Kamera.
Eine schöne akustische Breite erzielt man durch Nähe des Stereomikrofons zum Objekt: Je mehr Sie sich zwei Handwerkern in einer Werkstatt nähern, desto mehr wandern beide im Stereoklangbild nach außen, bis sich das Mikrofon zwischen ihnen befindet und beide jeweils im linken oder rechten Lautsprecher hantieren. Bedenken Sie bei solchen Aktionen immer, dass der Aufnahmebereich Ihres Mikrofons mit der Breite der aufzunehmenden Klanglandschaft übereinstimmen muss.
Reporter können ? wie Dokumentarfilmer ? auch durchaus inszenieren: Musiker oder menschliche Stimmen lassen sich um ein Mikrofon herum so anordnen, dass die Aufnahme den gewünschten Effekt erzielt. Im Studio fällt das leicht, als Autor
unterwegs haben Sie es schwerer, Objekte nach Ihren Vorstellungen zu platzieren. Überlassen Sie aber nicht von vornherein alles dem Zufall. Trauen Sie sich ruhig
eine akustische Inszenierung zu, wo immer sie möglich ist. Die Bereitschaft zu solchen akustischen Manövern ist bei den meisten Interview- und Gesprächspartnern überraschend groß.
Klangquellen in Bewegung
Noch ein Hinweis zu bewegten Objekten: Führen Sie Ihr Mikrofon nicht vorbeituckernden Fischerbooten, trabenden Pferden usw. nach, sonst stünde die Schallquelle still und die ganze Welt darum herum bewegte sich. Versuchen Sie vorherzusehen, in welchen Bahnen eine Bewegung verlaufen wird, und richten Sie Ihr Mikrofon so aus, dass ihre akustische Spur möglichst das ganze Panorama abdeckt. Dazu ist auch Geduld nötig: Harren Sie mit laufendem Gerät aus, auch wenn Ihr Objekt sich extrem in eine Richtung bewegt ? gerade das schafft Raumeindruck.
Quelle:
Mit dem Mikrofon vor Ort. Ratgeber für gelungene Mikrofon-Aufnahmen. Von Wolfgang Rein, Toningenieur beim Südwestrundfunk