Podcast kills the Radiostar

Podcast kills the Radiostar

von Wolfram Wessels


  Radio und Podcast sind mehr als zwei unterschiedliche Verbreitungswege von content. Sie basieren auf unterschiedlichen Techniken, werden unterschiedlich rezipiert und unterschiedlich vermarktet. Das hat Konsequenzen für Hörer wie für Produzenten.


  Technik

Radio wird ausgesendet von einer Zentrale und kommt auf die Hörer zu, die ihr Gerät nur einschalten müssen. Die Wellen treiben ihnen die Inhalte zu. Podcasts hingegen muss der Hörer sich abholen von einem server, ob er streamt oder downloaded ist dabei einerlei. Datenpakete sind es, die für ihn bereit liegen. Er hat Zugriff. Die Unterschiede der beiden Techniken sind erheblich und haben vielfältige Konsequenzen. Wer sendet, hat Sendungsbewußtsein, will etwas mitteilen, geben, schenken, beglücken, informieren. Wer sich etwas abholt, hat Ansprüche, weiß, was er will,  geht einkaufen, bestellt, wählt ein Angebot, lehnt ein anderes ab.  Demensprechend macht der Anbieter entsprechende Angebote, versucht Bedürfnisse zu befriedigen, orientiert sich an der Nachfrage. Podcast-Angebote, so sie denn professionell daherkommen, betreiben Marktanalyse und Erfolgskontrolle und richten sich danach. Das Medium Podcast ist allein aufgrund der verwendeten Technik grundsätzlich kommerziell orientiert. Das Radio unterliegt diesem Marktmechanismen nicht. Es braucht weder Erfolgskontrolle noch Marktanalyse, es sendet ja aus, was es für wichtig und richtig hält. Den Hörern wird die Möglichkeit geboten, sich einzuschalten, sich inspirieren zu lassen und wieder auszuschalten. Die Gefahr, dass ein Programm kein Publikum findet, tatsächlich niemand zuhört,  die Sender an ihren Empfängern vorbei senden, ist relativ gering, weil beide an der medialen Kommunikation Beteiligten Zeitgenossen sind, in der gleichen Welt leben. Was Sender und Empfänger unterscheidet, ist der Blick auf diese Welt, die immer neue und andere Perspektive. Aber genau das ist der Impuls einzuschalten. Programmgestalter wie Hörer verbindet Neugier, Wissensdurst und Vorfreude.


  Rezeption

Radio und Podcast werden meist unterschiedlich gehört. Podcasthörer sind die mit den Knöpfen im Ohr oder den dicken Ohrmuscheln. Das sind die, die trotz Klingeln das Fahrrad nicht bemerken, im Auto die Sirene des Krankenwagens überhören, wie Autisten im Wohnzimmer sitzen. Radiohörer sind die, die in der Küche beim Abwasch einem Konzert lauschen, im Wohnzimmer beim Bügeln einem Hörspiel und im Auto dem Verkehrsfunk.Das Radio wird gerne als Nebenbeimedium beschrieben, was heißt, dass es neben anderen Tätigkeiten gehört wird. Das Radio wird zum Teil unserer Welt, unserer Umwelt. Kommt das Glockengeläut nun aus dem Radio oder doch vom Kirchturm um die Ecke? Hat es vielleicht doch an der Tür geklingelt? Wir können uns sogar während des Hörens unterhalten.

Podcasts hingegen schließen seine Hörer von der Welt ab, sie sind der soundtrack zu einem Lebenskino, das erst produziert werden muss. Wir suchen uns eine Situation aus, die zum Hören passt und drücken dann auf play. Und diese Situationen sind so, dass wir uns bestenfalls von der uns umgebenden Welt zurückziehen können, um ganz in die Podcastwelt einzutauchen.


  Vermarktung

Podcasts sind Produkte, die sich auf einem Markt behaupten müssen. Ziel der Produzenten muss sein, möglichst viele downlaods, streams zu kreieren, möglichst viele Hörer zu gewinnen. Daher ist es gut, sie auf vielen Servern, vielen Plattformen zu platzieren, um ihre Reichweite zu erhöhen. Allerdings ist die Frage, wie zuverlässig die Messung von  Reichweiten  bei Podcasts ist, nach wie vor offen. Noch immer gibt es keinen einheitlichen Standard, Downloadzahlen sind schwer zu messen, jede Plattform hat noch immer ihre eigene Methode, und ob hinter jedem download auch ein Hörer steckt, ist nicht sicher. Ganz zu schweigen von den Algorithmen, die bei Charts eingesetzt werden. In Österreich gelang es mit 3 Abrufen auf Platz 1 der i-tunes Charts zu kommen. Der Erfolg von Podcasts wird permanent gemessen, aber wie zuverlässig die Zahlen sind, ist schwer zu sagen.   Dennoch werden damit Werbepreise festgelegt und Finanzierungspläne erstellt. Allerdings  sind die Zahlen der Radioforschung, wie sie Media Analyse betreibt auch nicht viel präziser. Auch deren Zahlen dienen ja primär der Werbeindustrie, die sie braucht, um die Preise für Radio-Spots festzulegen. Sie basieren auf Umfagen und lassen detaillierte Rückschlüsse auf einzelne Sendungen oder Sendestrecken kaum zu. Im Grunde beschreiben sie recht allgemein das Hörverhalten im Tagesverlauf. Wer hört wann welchen Sender.


  Radio als Podcast

Schon früh hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk das neue Medium Podcast für sich entdeckt als weitere Verbreitungsmöglichkeit seiner einzelnen Sendungen. Auch das durch die Podcast-Entwicklung forcierte serielle Erzählen ist im Radio nichts Neues. Vor allem im Fiktionalen wurden schon sehr früh verschiedene Formen erprobt.  Die BBC pflegt "The Archers" seit den 1940er Jahren bis heute, der HR strahlte zwischen 1949 un 1956 die "Familie Hesselbach" aus: 77 Folgen in 3 Staffeln. Der SWF in den 1970ern "Vier Zimmer, Küche, Bad". Und der DDR Rundfunk hatte bis zu seinem Ende 25 Jahre lang "Was ist denn heut' bei Findigs los" im Programm. Auch eine Truecrime-Serie gab es bereits zwischen 1952 und 1956 im NDR: "Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück".

Die neue Qualität, die mit "Serial" aus den USA den Podcast Boom in Deutschland einläutete, war weniger das serielle Erzählen an sich, als die Möglichkeit des neuen Binch-Listenings, das erlaubt, mehrer Folgen hintereinander zu hören. Es zeigte sich hier das für manche überraschende Phänomen, dass die Aufmerksamkeitsspanne nicht bei 3.30 zu enden scheint, sondern Hörer durchaus in der Lage und Willens sind, auch längere Zeit zuzuhören.

Dass  sich einzelne Sendungen aus dem Programm herauslösen lassen und als Podcast verbreiten, ist keine Überraschung. Dass dahinter ein Medienwechsel steht, wird hingegen nur wenig beachtet. Die Sendungen wechseln dann in den freien Markt und der unterliegt anderen Gesetzen als lineares Radio. Sie treten in eine andere Konkurrenz. Eine gute Sendung ist nicht automatisch ein erfolgreicher Podcast. Content wird immer in einem bestimmten Kontext rezipiert, die Rezeptionsumstände bestimmen ihn mit. Und Rezeption ist in der medialen Kommunikation der entscheidende Faktor. Sie läßt sich nicht einfach in Einschaltquoten oder Klickzahlen messen. Die Frage, wie Erfolg sich überhaupt bemisst, möchte ich gar nicht erst aufwerfen.


    Podcast im Radio

Je mehr Klickzahlen auf dem Podcastmarkt generiert werden und je mehr diese als Massstab des Erfolgs gewertet werden, je mehr entsteht das Bedürfnis bei Radiomachern, an dieser neuen Erfolgs-Währung teilzuhaben und entsprechende Inhalte und Formate ins Programm zu nehmen. Wie Sendungen in den Podcastmarkt wechseln, wird nun der umgekehrte Weg probiert.  Doch gibt es dabei Schwierigkeiten: Sendungen haben eine strikt begrenzte Dauer, ein Programmumfeld und eine bestimmte Tageszeit, zu der sie platziert werden. Ein Feature über einen swingerclub würde am Sonntagmorgen nach der Übertragung eines Gottesdienstes eher befremdlich wirken. Auch Programme haben eine bestimmte Dramaturgie. Als Radio Bremen 1949 für einen Tag ("Tag Y") sein Programmschema auf den Kopf stellte, diente das auch dazu, auf dessen Dramaturgie aufmerksam zu machen. Es ist nicht unerheblich, was wann wo gesendet wird. Hinzu kommt, dass auch jeder Sendeplatz eine eigene Dramaturgie verfolgt. Auch jeder Podcast verfolgt seine je eigene. Es ist ein Unterschied, ob eine Geschichte mit einem Spannungsbogen über 15, 30 oder 60 Minuten erzählt wird oder als Serie mit Cliffhänger in unterschiedlichen Längen. Während ein Radioprogramm auf die Vielfalt an Themen und Formen setzen muss, um Gleichförmigkeit zu vermeiden und den Hörer immer wieder überraschen zu können - deswegen schaltet er ein - ist im Podcast ein Trend zu beobachten, sich an wenigen erfolgreichen Beispielen zu orientieren. Was auf dem Markt reüssiert wird vielfach adaptiert und kopiert, was weniger Klicks generiert wird eingestellt. Dabei tun sich derzeit vor allem Gesprächspodcast hervor, Formate, die angelehnt an Diskussionsrunden und Talkshows leicht ausufern, weil ihnen die zeitliche Begrenzung fehlt. Derartige "Laberpodcasts" ins Programm integrieren zu wollen, könnte schwierig werden. Für beide Medien konzipierte Audios wie  das "Coronavirus Update" des NDR funktionieren, weil die Formate angepasst werden. Im dokumentarischen Bereich hat sich im Gefolge von "Serial" ein Format im Podcast-Bereich verbreitet, das den Reporter in den Vordergrund rückt: der Erzähler im Podcast ist häufig Moderator und Autor zugleich. Er erzählt seine Erlebnisse und moderiert die O-Töne an, die er währenddessen aufgenommen hat. Im Grunde wird allerdings die immer gleiche Geschichte von der Reporterin, dem Reporter erzählt, der, die auszieht, um etwas zu recherchieren. Es werden emails geschrieben, geklingelt, an Türen geklopft, zu Terminengefahren und auf der Hinfahrt sinniert, was der Angefragte wohl sagen wird und auf der Rückfahrt, was er tatsächlich gesagt hat und was nicht. Vielfach wird der Weg wichtiger als das Ziel: dem Hörer etwas Neues zu berichten. Derartige Reportagen gab es bislang in der aktuellen investigativen Berichterstattung, im Feature waren sie eher die Ausnahme.


    Podcast kills the Radiostar

Inzwischen droht diese Reportageform auch die Dokumentationen mit künstlerischem Anspruch, die Feature im linearen Programm zu dominieren. Der Erfolg in einem Medium (Podcast) verleitet dazu, ihn auf das andere Medium (lineares Radio) zu übertragen. Kann das funktionieren ohne die Spezifik der Medien genügend zu beachten? Die meisten Medienhäuser, voran die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, streben eine trimediale Ausrichtung an. Dahinter steht die Idee, Produktionen aus Radio, Fernsehen und Internet hin und her schieben zu können. Gemeinsame Recherchen sollen für Synergie-Effekte sorgen. Doch funktioniert das? Die Unterschiedlichkeit der Medien ist kaum zu leugnen und ein Transfer ist nicht mühelos. Zwar können die Tonspuren von TV-Talkshows als Audio-Podcast verbreitet werden, doch schon Fernseh-Tatorte brauchen für ihren Audiothek-Auftritt eine zusätzliche Textebene. Sie von dort ins lineare Programm zu hieven, könnte dieses stark beschädigen. Was wird aus dem Radio-Tatort? Radio als reine Abspielstelle für podcasts könnte sein Ende bedeuten: warum soll ich das Radio einschalten, um zu hören, was andernorts längst zur Verfügung steht? Inzwischen  werden Feature-Termine gekürzt, um sie podcastkompatibel zu gestalten, wie zuletzt bei NDR Info, podcastfolgen werden zusammengeschnitten, um sie dem Sendegefäß passend zu machen ohne Rücksicht auf die je eigene Dramaturgie. Auch die Reportageform aus den podcasts wird zunehmend im Radio-Feature übernommen, Erzähl- und Sprechhaltungen der "Laberpodcasts" im linearen Programm adaptiert. So könnte die Vielfalt der Formen und Themen eingeschränkt und die alte Idee eines dramaturgisch durchdachten Radioprogramms beschädigt werden. Es ist an der Zeit nicht nur über Audiotheken, Ausspielwege, Plattformen und Podcasts zu reden, sondern das lineare Programm wieder stärker in den Blick zu nehmen. Noch immer hören 80% der Audionutzer der ARD/ZDF Langzeitstudie zufolge lineares Radio live. Und das sollte mehr sein als kuratierte Podcasts.  Ein solches Programm könnte leicht alle  Hörer enttäuschen: die einen, Podcast-Fans, weil  sie ihre Nachfrage nicht befriedigt sehen, die anderen, weil ihre Neugier enttäuscht wird. Radiohörer haben verdient, ernstgenommen zu werden und dass über die Frage, wie eine zeitgemäße Programmdramaturgie aussehen sollte, neu und intensiv nachgedacht wird.        

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