Belgrad: B92, das Ende eines Mythos

28.02.2016

Manche sprachen von Mord, von einer kaltblütigen Exekution, als vor gut einem halben Jahr zwölf von 17 verbliebenen Mitarbeitern gekündigt wurde – und damit das faktische Ende von B92 eingeleitet wurde. Nun ist eine gewisse dramatische Übertreibung nicht ungewöhnlich in Serbien. Aber der Belgrader Sender war nicht nur irgendein Radio, sondern war in den finsteren Jahren der Milosevic-Ära DAS Symbol des Widerstands gegen alles, was schlecht lief in Serbien: nationalistische Propaganda und Kriegshetze, das Morden in Kroatien, Bosnien und Kosovo. Bei B92 kamen Menschen zu Wort, die sonst nirgends mehr zu Wort kamen; es wurde Musik gespielt, die sonst nirgends gespielt wurde. B92 war das letzte Licht in Zeiten der Finsternis und Isolation. Er war der „Unterschlupf für ein anderes Weltgefühl“, wie der serbische Kolumnist Teofil Pančić in einem Nachruf schrieb. 

Mehrmals war der 1989 als Studentenradio gegründete Sender in den Milosevic-Jahren abgeschaltet worden. Immer wieder kam er zurück und war danach noch stärker geworden: Im März 1991, als es in Belgrad zu massiven Demonstrationen gegen Nationalismus und Kriegshetze kam; im Herbst 1996, als nach einem massivem Wahlbetrug im ganzen Land die Menschen erneut auf die Straße gingen. Nach der Abschaltung wich man aufs Internet aus, und das Informationsprogramm wurde zeitweilig von der BBC, Voice of America und Radio Free Europe übernommen – womit B92 nicht nur erstmals landesweit zu empfangen war, sondern auch internationale Aufmerksamkeit erreichte. Im Oktober 2000 kam es zur demokratischen Wende. Und aus dem ehemaligen Jugendradio wurde bis 2007 der meist gehörte Hörfunksender. 

Doch ausgerechnet jetzt sollte die schwierigste Zeit in der Geschichte des Senders anbrechen. Offiziell herrschte „Demokratie“, so dass sich internationale Stiftungen, die das finanzielle Überleben des Sender bislang gesichert hatten, langsam aus Serbien zurückzogen. Aus dem aufmüpfigen Sender war nun einfach nur einer von mehreren Playern in einem brutalen Medienmarkt geworden. Und so begann die Kommerzialisierung des Programms, insbesondere nach 2010, nachdem B92 an ein griechisches Medienunternehmen verkauft wurde. Viele Journalistinnen und Journalisten der ersten Stunde hatten „ihr“ Radio damals aber ohnehin schon enttäuscht verlassen. Die Kündigung der zwölf Mitarbeiter war dann letztlich nur der Abschluss eines langsamen Siechtums des ehemals leuchtenden Sterns der Aufklärung. In einem „Requiem für B92“ schrieb der Journalist und Schriftsteller Boris Dezulovic: „Woran Milosevic gescheitert war, gelang am Ende dem Monster des sogenannten freien Markts, wo Wahrheit und Gerechtigkeit nicht notwendigerweise Feinde sind, sondern Waren, die im Wettbewerb gegenüber der viel billiger zu habenden Lüge und Ungerechtigkeit im Nachteil sind.“ 

Viele in Serbien sehen heute die Situation der Medien wieder in einem ähnlich jämmerlichen Zustand wie in den 1990er Jahren. Statt durch direkte Repression erfolgt die Einflussnahme heute über Werbebudgets, die von regierungsnahen Firmen verwaltet werden. Kritische Stimmen würden mehr denn je gebraucht. Die Tragödie besteht darin, dass in Serbien heute aber noch nicht einmal der Schatten von etwas sichtbar ist, was B92 vor 20 Jahren einmal bedeutet hatte.