Beschallter Crashtest-Dummy

13.12.2013

Seit vierzig Jahren gibt es mittlerweile Kunstkopf-Stereophonie im Hörspiel. Das Aufnahme- und Wiedergabeverfahren wurde 1969 vom Berliner Heinrich-Hertz-Institut patentiert. Als Mikrofongestell dient dabei ein künstlicher Kopf – ähnlich dem einer Schaufensterpuppe oder eines Dummy für Crashtests. In den beiden Ohrmuscheln des Dummykopfes befindet sich jeweils ein Kugelmikrofon. Das trägt seinen Namen wegen der kugelförmigen Richtcharakteristik. Es registriert Schall von allen Seiten gleich stark. Zum Anhören von Radiosendungen oder Tonträgern, die Kunstkopf-Stereophonie nutzen, nimmt man geschlossene Kopfhörer. Beim Kunstkopf befinden sich während der Aufnahme Mikrofone an den künstlichen, während der Wiedergabe in den echten Ohren des Empfängers Kopfhörer. Dabei ergibt sich mehr noch als bei normalem Stereo räumlicher Klang. Im Herbst 1973 lief mit dem Sci-Fi-Hörspiel „Demolition“ (RIAS/BR/WDR) das erste Hörspiel in Deutschland, das sich der Kunstkopf-Stereophonie bediente. Auf Basis der Buchvorlage „The Demolished Man“ (1953) von Alfred Bester wurde das etwa hundertminütige Pionierprojekt von Ursula Starck, Ulrich Gerhardt, Klaus Krüger, Hans Ulrich Minke und Friedrich Scholz realisiert. „Ziel war es, sämtliche Wirkungsmöglichkeiten der Kunstkopf-Stereophonie – unter Einbeziehung von Mono-, Stereo- und Quadrophonie-Technik – optimal zur Geltung zu bringen“, schreibt die Redaktion Hörspiel und Medienkunst auf der Website des Bayerischen Rundfunks. Am Samstag, den 14. Dezember um 15 Uhr wird im Radioprogramm Bayern 2 anläßlich des Jubiläumsjahres der Klassiker der Kunstkopfstereophonie „Demolition“ erneut ausgestrahlt. Ähnlich wie Surround-Sound soll die Kunstkopf-Stereophonie ein räumliches Klangerlebnis schaffen, die originale Aufführungssituation möglichst naturgetreu reproduzieren. Dabei gibt es jedoch einige Schwierigkeiten. Von vorne scheinen beim Hören kaum Schallwellen zu kommen. Es fehlt eine Unterscheidbarkeit von oben und unten. Außerdem benötigt man unbedingt Kopfhörer, da per Lautsprecher die Richtungen stark verzerrt werden. Ängste, dass Kunstkopf-Stereophonie eine Technik sei, die über die Maßen manipulativ wirken könnte, scheinen eher unbegründet. Der auf Empfängerseite willentlich zu vollziehende Schritt, sich Kopfhörer aufzusetzen, ist eine große Hemmschwelle für Manipulationen. Illusionstechnisch muß man festhalten, dass statische Surround-Lautsprechersysteme bei einer Hörspielaufführung viel eher zur glaubhaften Überlagerung von künstlichem Klangraum und realem Aufführungsraum führen können, als das beim Hören mit Kopfhörern der Fall ist. Denn hier braucht man einfach nur den Kopf zu drehen, damit künstlicher und realer Raum wieder gegeneinander verschoben werden. Der Siegeszug der Kunstkopf-Stereophonie ist in den vergangenen Dekaden zwar ausgeblieben. Es sind im Bereich des Hörspiels aber durch die Jahre einige Projekte mit dieser Technik realisiert worden. Eine Auswahl von Radioarbeiten findet sich auf YouTube, darunter „Demolition“. Auch aktuelle reflektierende Berichterstattung zu der speziellen Aufnahme- und Wiedergabetechnik gibt es dieser Tage im Radio. Annegret Arnold widmet sich dem Thema in ihrem Feature „40 Jahre Kunstkopf. Ein noch nicht abgeschlossenes Kapitel der Hörspielgeschichte“, das am Freitag, den 13. Dezember auf Bayern 2 im Rahmen der Sendereihe „hör!spiel!art.mix“ ausgestrahlt wird und danach als Podcast zur Verfügung steht. Es läuft in diesem Sendefenster im Anschluß an die Ursendung des Hörspiels „Antilopenverlobung“ von Dietmar Dath und Mareike Maage, das Bayern 2 um 21 Uhr sendet.

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