Beschreibungen

2. November 2013

„Die junge Frau trägt eine mit Blumen bedruckte Bluse und große Ohrringe“. - „Der Koch läuft durch die Küche und wirft ein Messer in die Luft“. - „Wir treffen uns in einer Wohnung, deren Vorhänge nikotingelb vor'm Fenster hängen“. Im Feature sei alles möglich, sagen seine Statthalter: Musiken, Geräusche, Originaltonaufnahmen. Und also auch Texte, die visuelle Eindrücke von Menschen, Landschaften und Räumen beschreiben. Aber ich bin mir nicht sicher, wie ich das finden soll. Mir scheint, daß Beschreibungen vor allem von Menschen im Feature auch ein, hüstelhüstel: moralisches Problem darstellt. Schießlich ist der Deal, der zwischen mir (dem Radiomacher) und dem Gesprächspartner abgeschlossen wurde, der, daß ich Töne aufnehme – und eben nicht Bilder. Klar: Bilder, die ich sehe, gehören zu einer „Dokumentation“ dazu, aber sie sollten, finde ich, in erster Linie MIR ein Bild machen – nicht der Öffentlichkeit. Da sitzt ein sichtbar eitler, älterer Mann vor mir, dauergewellt, goldkettenbehängt, parfümiert und mit Seidentüchlein. Was er sagt (und was ich aufnehme), klingt allerdings überhaupt nicht eitel. Was wäre die Lösung dieses gestalterischen Problems? Tonfetischist, der ich bin, würde ich immer sagen: Dann IST er eben (in meiner Sendung) nicht eitel. Würde ich seine Geckenhaftigkeit textuell herausstellen („Goldkettenbehängt sitzt er vor mir...“), wäre das (im akustischen Raum, der ein Feature ist) nichts anderes als eine unbewiesene Behauptung. Das Erscheinungsbild meiner Protagonisten muß sich über ihre Sprechweise verdeutlichen lassen, durch sprachliche Volten, dramatische Pausen, selbstbezogene Aussagen und so weiter. Das akustische Genre Feature ist also (in meiner Sicht) weniger eine getreue Dokumentation (wie könnte es das auch sein?, mit einem Autor, der selektiert, herumschneidet, anordnet etc.) als das Angebot akustischer Variablen zur Eigenproduktion von Phantasmen. Meine Erfahrung aber ist: Die Sprache, der Ton, die Haltung, die Pausen und Zögerer: Sie verraten den Sprechenden auch ohne Beschreibungen.

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