Immer wieder ist in deutschen, aber auch anderen nicht-ungarischen Medien zu lesen, in Ungarn habe die Regierung unter dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán die Pressefreiheit eingeschränkt oder gar abgeschafft. Dem ist mitnichten so. Brachiale diktatorische Methoden wendet Orbán nicht an. Wie in den vorherigen Blogeinträgen am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Ungarn aufgezeigt, ist dieser ohne formale Zensur oder andere gesetzliche Steuerungsmechanismen praktisch völlig gleichgeschaltet und zu einem verlässlichen Verlautbarungsorgan der Regierung geworden. Das „Problem“ der privaten unabhängigen und regierungskritischen Medien in Ungarn hat die Orbán-Regierung auf andere Weise gelöst. Formal sind sie in ihrer Berichterstattung kaum eingeschränkt, einige Gummiparagraphen der Mediengesetze (wie den zum Schutz von Minderjährigen vor obszönen Inhalten) hat der ungarische „Medienrat“, die Medienaufsichtsbehörde des Landes, in den letzten Jahren wider Erwarten nicht extensiv angewandt. Dennoch leben viele unabhängige ungarische Medien in einem fortgesetzten ökonomischen und zum teil auch rechtlichen Alptraum. Exemplarisch dafür steht der Fall des Senders „Klubrádió“. Gegründet wurde er als Spartensender 1998 vom „Ungarischen Autoklub“ (MAK). Der verkaufte ihn 2001 an eine Firma, die einer damaligen linksliberalen Oppositionspartei nahestand. Seitdem wechselte Klubrádió zu seinem heutigen Format als Nachrichten- und Talksender mit politischen und kulturellen Themen. Nach der Jahrtausendwende entwickelte sich Klubrádió schnell zu einem der führenden Politradios in Ungarn, das auch außerhalb Budapests in vielen wichtigen Städten zu empfangen war. Wegen seiner links-liberalen Orientierung wurde der Sender zu einem Hassobjekt der ungarischen Rechten und Rechtsextremen. Als Klubrádió 2007 in der südostungarischen Großstadt Debrecen auf Sendung ging, störten rechtsextreme Demonstranten die Eröffnungs-Talk-Show und unterbrachen den Sendebetrieb. Ein Budapester Starmoderator des Senders, József Orosz, wanderte 2010 nach Kanada aus, nachdem er wegen seiner jüdischen Herkunft und seinen offenen Bekenntnis zu seiner Homosexualität jahrelang Objekt einer verbalen Hass- und Lynchkampagne gewesen war. Nachdem Orbán und seine Partei Fidesz 2010 in Wahlen eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreichten und noch im selben Jahr begannen, die ungarische Medienlandschaft umzukrempeln, verlor Klubrádió Stück für Stück die meisten seiner regionalen Frequenzen. Als sich der Sender Anfang 2011 um eine Verlängerung seiner Budapester Sendelizenz bewerben musste, verlor er die Ausschreibung zunächst und verstrickte sich in eine mehr als zweijährige, zermürbende juristische Auseinandersetzung mit der Nationalen Medien- und Telekommunikationsbehörde NMHH. Im Frühjahr 2013 bekam Klubrádió nach vielfachen provisorischen Sendelizenzverlängerungen endlich eine neue Dauerlizenz. Zwischenzeitlich waren fast alle privaten Anzeigenkunden abgesprungen, viele auch aus Angst, Staatsaufträge zu verlieren, wenn sie im wichtigsten Oppositionsradio Werbung schalten würden. Staatliche Werbung wiederum hatte Klubradió seit 2011 ohnehin nicht mehr bekommen. Infolge dessen konnten die meisten Redakteure und Mitarbeiter von Klubrádió seit Beginn der Auseinandersetzung mit der NMHH kaum noch oder gar nicht mehr bezahlt werden. Der Klubrádió-Eigentümer András Arató verklagte die NMHH letztes Jahr zwar auf Schadensersatz, bisher allerdings erfolglos. Ebenfalls letztes Jahr kaufte sich eine obskure Firma mit Namen „Brit Media“ als Minderheiteneigentümer in den Sender ein. Wer hinter der Firma steht, ist unklar, möglicherweise sind es jedoch Investoren mit Regierungsverbindungen – im Falle einiger wichtiger Online-Portale war dieses Geschäftsmodell zuvor bereits ans Tageslicht gekommen. Fazit: Zwar hat Klubrádió in Orbáns Ungarn seit 2010 überlebt – allerdings war die ökonomische und juristische Salamtaktik der Regierung erfolgreich: Das einst führende Nachrichten- und Talk-Radio ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst.