Nach Serial ist (fast) wie vor Serial

27.12.2014

Radio hat es im Printbereich nicht einfach. Es gibt zwar auf nahezu jedem Sender eine Presseschau, aber in den wenigsten Zeitungen eine Radioschau. Mit serial hat sich das geändert. Fast schon überschwänglich euphorisch haben die Feuilletons vieler großer Tages- und Wochenzeitungen in Deutschland über die Krimiserie berichtet, die als reiner Podcast, also ohne direkte Anbindung an ein lineares Radioprogramm, produziert wurde. Nach über einem Jahr Recherche hat Reporterin Sarah Koenig eine wirklich fesselnde Serie mit zwölf Teilen geschaffen. Erzählt wird die wirkliche Geschichte eines Mordfalls aus dem Jahr 1999. Ein Teenager soll seine Ex-Freundin aus Eifersucht und Rache umgebracht haben. Bis heute sitzt der vermeintliche Täter im Gefängnis, doch über den genauen Ablauf der Tat und die Hintergründe bestehen bis heute viele Zweifel. Einige Details wollen einfach nicht zusammen passen. Auch der Verdächtige bestreitet bis heute die Tat. Koenig erzählt in akribischer Detektivarbeit den Fall nach und stellt auch ihre eigene Recherchearbeit (soweit das möglich ist) transparent dar. Oberste Prämisse ist dabei der Versuch, immer unparteiisch zu bleiben. Jede Folge liefert einen weiteren Puzzlestein und doch bleiben die Hörer am Ende immer allein mit der Frage: „Hat er es nun getan oder nicht?“ Mittlerweile ist die erste Staffel von Serial abgeschlossen und komplett hörbar im Netz verfügbar. (Tipp: Die Geschichte wird chronologisch erzählt - also am besten mit Folge 1 anfangen und bis zu 12 durchhören!) Die Show wurde übrigens direkt fürs Netz produziert. Das bedeutet, dass die Folgen je eine unterschiedliche Länge haben, die sich nach dem Thema richtet. Jeder Aspekt wird so lange erzählt, wie er trägt und wie es für die gesamte Show nötig ist. Der Fall taugt dazu, ein Millionenpublikum anzuziehen. Genau das macht Serial auch und stößt dabei gleich mehrere Debatten an: Darf man über solche realen Fälle berichten? Ist die Auswahl der Gesprächspartner für die Show ethisch vertretbar? Wo bleibt da die Objektivität, trotz aller Bemühungen? Gleichzeitig überschlagen sich vor allem Zeitungsredaktionen in Deutschland damit, die Serie zu loben. Häufig mit der impliziten, seltener mit der expliziten Unterstellung: So etwas habe es bisher noch nicht gegeben und das alles sei der Überraschungserfolg schlechthin. An dem Punkt würde ich gerne ein wenig widersprechen. Die Macher von Serial sind nicht einfach irgendwelche Personen. Konzipiert und realisiert haben die Show Redakteure und Reporter von This American Life , DEM Flagschiff des US-Storytellingradios schlechthin. Seit 1995, also fast 20 Jahren, produzieren dort Ira Glass und Kollegen grandiose Radiodokumentationen zu allen erdenklichen Themen. Seit knapp 20 Jahren schafft es die Redaktion, jährlich ihr Publikum zum Spenden und damit zum Finanzieren ihres Programms zu animieren. Dazu kommen fünf Peabody Awards (für herausragende Rundfunkproduktionen) und drei Awards (für herausragende Audioproduktionen), um nur ein paar der größeren Preise zu nennen. Wenn also jemand einen Hit mit Audio/Radio landen kann, dann sind es diese Menschen. Deshalb kam es für mich nicht wirklich überraschend, dass der Spin-Off so gut ist, wie er es ist. Serial ist meiner Meinung nach ein riesengroßer Erfolg für Audio und Storytelling im Netz, steht aber keineswegs für sich oder allein. Radio war schon immer gut darin, Geschichten zu erzählen und Menschen zu bewegen - das wissen wir. Die neue Qualität von Serial ist für mich, dass hier ein Fall als Serie erzählt, direkt fürs Netz produziert wird – und dass (endlich) sehr viele Menschen sehen und verstehen, was Radio kann. Was sich im US-Radiobereich sonst tut und warum wir das (finde ich) gut zu finden haben, darüber werde ich im nächsten Eintrag ein wenig mehr schreiben. Bis dahin: Serial hören und eigene Meinung bilden. Die Feiertage eignen sich perfekt dazu! Übrigens: Auch im deutschsprachigen Podcast-Bereich tut sich was. Christian Grasse hat vor einigen Wochen den Systemfehler gegründet, einen Doku-Podcast zur Fehlerkultur. Teil 1 „Die Relaismotte“ ist online und zeigt, dass auch bei uns mehr geht als reine Gesprächspodcasts.

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