Ich liebe Podcasts. Seit jener Nacht im Herbst 2011, als ich aus Neugier einfach mal den play-Button eines iPods drückte, den man mir kurz zuvor geschenkt hatte. Und dann waren da plötzlich diese Stimmen in meinem Kopf – verbal wild gestikulierend, völlig ungescripted, chaotisch, hitzig, sich verlierend in scheinbar nichtigen Details, laut lachend und nachdenklich schweigend. Das war meine Podfloration und seither bin ich dem Medium, wenn man es denn so nennen möchte, hoffnungslos verfallen. Es begleitet mich auf langen Reisen, morgens auf dem Weg zur Arbeit, zum Einschlafen in der Nacht. So groß ist die Liebe – oder vielmehr die Faszination – geworden, dass ich meine Promotion dem Podcasting im deutschsprachigen Raum widme.
Zwei Aspekte speisen dabei mein Interesse. Zum einen stellen wir Medienforscherinnen seit Jahren fest: das Publikum, das gibt es so nicht mehr. Schon länger beobachten wir eine tiefgreifende Transformation gängiger Sender-Empfänger-Strukturen, die uns hin und wieder in einige Erklärungsnöte bringt. Denn mit der Vervielfältigung der Ausspielkanäle für Medieninhalte, aber auch der Akteure, die heute Mitweben an medialen Öffentlichkeiten, verlieren althergebrachte Konzeptionen der ausstrahlenden Massenmedien zunehmend an Aussagekraft. Stattdessen sehen wir eine Fragmentierung in verschiedene Publika, die in großen Teilen nicht mehr nur empfangen wollen, sondern zunehmend zu ihren eigenen Programmmachern werden. Wir stellen, wie es Uwe Hasebrink formuliert, bedürfnisorientiert unsere eigenen Medienrepertoires zusammen. Symptomatisch hierfür ist etwa die gestiegene Nutzung von Mediatheken und Plattformen wie Netflix, auf denen die Userinnen selbstbestimmt Inhalte ansteuern. Der Aufschwung dieser Angebote zeigt aber auch etwas anderes: Netzbasierte Medientechnologien ermächtigen Menschen zu medialer Teilhabe. Sei es durch knappe Kommentare auf Facebook oder Twitter, eigene Blogbeiträge, Internetvideos auf YouTube – heute kann potenziell jede zur Senderin werden. Das Netz bietet Raum für eine immense Vielfalt, ein reiches, mitunter unüberschaubares Nebeneinander von publizistischen Inhalten, ganz persönlichen Medienformen und dem, was „professionelle Amateurinnen“ allein oder im Kollektiv produzieren.
Was das alles mit Podcasts zu tun hat? Ganz einfach: Podcasts bedeuten User-Autonomie. Oder wie es Claudia Krell und Ralf Stockmann in ihrem Talk auf der diesjährigen Media Convention in Berlin treffend auf den Punkt brachten: Podcasts bedienen ein steigendes Bedürfnis an Rezeptionssouveränität. Also den Wunsch danach, Medieninhalte - sei es Information, Unterhaltung oder irgendetwas dazwischen - personalisiert nutzen zu können. Darüber entscheiden zu können, wann, wo und was ich konsumiere. Und in welchem Tempo, über welche Plattform oder Geräte und nach meinen individuellen inhaltlichen Vorlieben. Diese Passgenauigkeit zwischen mobiler Nutzung, 'time shifting', Abonnierbarkeit und thematischer Vielfalt macht Podcasting zu einem äußerst zeitgemäßen medialen Kanal. Kaum verwunderlich also, dass Podcasts gerade heute, zehn Jahre nach der ersten Hypewelle und befördert durch Ubercasts wie Serial, eine Art Renaissance erleben.
Autonomie heißt zugleich Unabhängigkeit von inhaltlichen Vorgaben und Restriktionen. Diese Gestaltungsfreiheit macht Podcasting zu einem bedeutungsvollen Ausdrucksmittel für Menschen, die meistens so gar nichts mit dem klassischen Journalismus zu tun haben. Es bietet Laien und Amateurinnen, aber auch Expertinnen die Möglichkeit, Stimme zu ergreifen, Diskurse zu ihren teils Kleinstnischenthemen anzustoßen oder einfach ein schönes Hobby zu betreiben. Hier ist Raum für ganz Vieles: auditive Experimente, das kultivierte Gespräch oder den leicht bis schwer chaotischen Schnack mit Freundinnen.
In meiner kleinen Dokublog-Beitragsreihe möchte ich einige dieser Punkte aufgreifen und zur Diskussion stellen. Einmal wird es um die Frage gehen, was das klassische Radio von der freien Podcastszene lernen kann. In technischer Hinsicht, aber auch im Umgang mit der Community von treuen Hörerinnen und Fans. Natürlich ist das Radio im digitalen Zeitalter längst Teil der Podcasting-Repertoires – nun wird es aber vielleicht mal Zeit, die vielfältigen Potenziale des Mediums voll auszuschöpfen.
Zum anderen geht es mir um die Szene – oder vielmehr: die Szenen – der unabhängigen Audiopodcast-Produzentinnen. Was sind ihre Themen und Anliegen, wer spricht da überhaupt ins Netz und wen erreichen sie mit ihren Angeboten? Was machen sie anders als die „Menschen vom Radio“ und wo gibt es Schnittmengen? Und natürlich wird auch zu hinterfragen sein, ob Podcasting als Form medialer Teilhabe tatsächlich so zugänglich und vielfältig ist, wie man es sich vor über zehn Jahren erhoffte.
Nicht zuletzt sollen meine Beiträge hier Lust machen, neue Stimmen im Netz zu entdecken oder gar selbst vor das Mikro zu treten. Wer gesprochenes Audio liebt und der Sogwirkung der menschlichen Stimme verfallen ist, wird sich, so meine Hoffnung, vom Podcastvirus anstecken lassen. So wie ich damals, in jener Hamburger Nacht.
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