Radio Europa?
\\\\\\\"Feiern, Tanzen, Staunen und sich Begeistern – diese Begriffe fallen derzeit nicht oft beim Thema Europa. Die Krise drückt die Stimmung. Dem entgegen setzt RADIO EUROPA ein großes Fest der europäischen Musik! ... und auf einmal hat man es wieder – dieses ergreifende Gefühl von Freiheit, Abenteuer, Leidenschaft und Zuneigung füreinander.
Musik überwindet alle Grenzen! Das Ergebnis heißt: „RADIO EUROPA – TOGETHER IN MUSIC“\\\\\\\"
Was sich anhört, wie die Ins Leben zurückgebrachte Vision eines lebendigen interkulturellen Europas mit Mitteln des Radios, ist leider nur die Band Radio Europa, die eben diesen Geist beschwört.
Aber gibt es denn kein echtes, kein richtiges Radio Europa?
Radio Free Europe als in vielen osteuropäischen Sprachen sendendes Konstrukt politischer Ambition, bezahlt von US-Kongressgeldern, hat eher die Patina vergangener Jahrzehnte. Damals galt es, die westlichen Werte über den Äther zu verbreiten, gemischt mit codierten Anweisungen für die im Osten tätigen Agenten.
Nun - und darüber hinaus gibt es da noch Radio Europa auf den kanarischen Inseln mit einem hervorragenden Wetterservice für deutsche Urlauber.
Und es gibt Radios mit dem Anspruch, ganz Europa mit Informationen zu versorgen: BBC international, Radio France internationale und Aljazeera. Aber gibt es tatsächlich etwas, das Radio in ganz Europa vereint, vielleicht sogar zu typisch europäischem Radio werden lässt? Vielleicht ist es noch am ehesten die politische Struktur des mehr oder weniger staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, obwohl auch der manchmal nur als staatliches, und eben nicht unabhängiges Modell existiert. Nur Monaco besitzt weder noch. Und die Staaten in Osteuropa werden von der Europäischen Kommission angehalten, unabhängigen Rundfunk zu fördern. Über russische Medien wird offiziell gar nicht gern gesprochen, denn: Ist das nicht Verlautbarungs-Journalismus?
Expedition nach Osten
Irgendwann vor fünf oder sechs Jahren wurde unser kleines freies Radio Corax aus Halle gefragt, ob wir nicht ein Partner-Radio in Russland suchen wollen würden, um zukünftig gemeinsame Projekte zu entwickeln. Wer da fragte, war die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, und die Region Russlands, um die es ging, hieß Tatarstan, reich an Erdöl und Erdgas. Das nichtkommerzielle Radio Corax also als Botschafter für die kommerzielle Beziehung von Ländern?
Aber noch viel interessanter war die Idee, diese Kontaktaufnahme ausgerechnet im Bereich der Medien zu versuchen, diesem von Putin und Kollegen streng reglementierten Sektor der russischen Gesellschaft. Und an freie Radios, also selbstbestimmte und Community-basierte Massenmedien - war weder damals und ist auch 2014 in Russland noch nicht zu denken.
Russland, das Land der Dichter und Philosophen - warum nur hat es solch eine Angst vor der offen ausgesprochenen Wahrheit? Oder ist diese Frage schon falsch? Wer hat hier eigentlich Angst vor welchem Begriff der Wahrheit?
Täuscht mich mein westlicher Blick auf das gleichgeschaltete russische Radio? Das hat wenigstens im Kofferradio im Hotelzimmer in Kasan immer noch eher den Charme von DDR-Rundfunk - auch wenn die Zeit des zentralrussischen Radios verstrichen scheint:
Gawarit Moskwa! Es spricht Moskau! So lautete die smarte Begrüßung der Hörerinnen und Hörer von Radio Moskau in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Erst 1990 versammelten sich kritische Journalistinnen und Journalisten zu einem Vorhaben mit etwas weniger Ansage-Charakter: Echo Moskaus sollte das ambitionierte Vorhaben heißen und es erhielt tatsächlich eine Lizenz- die Lizens Nummer 001. Darauf sind die Sendungsmacher heute noch stolz. Viel erstaunlicher aber ist, dass beim Radio Echo Moskaus ein Hauch von CNN oder gar von BBC zu spüren ist. Der Anspruch ist hoch- objektive Berichterstattung und keine politische Macht, die in die Sendungen hineinfunken könne. Dieser Anspruch zahlt sich aus- von Politikern und Intellektuellen, Wirtschafts-Elite und wisssenschaftliches Klientel ist unter den Hörerinnen und Hörern genauso zu finden, wie Studies oder eben kritische Geister in der gesamten Gesellschaft. Also alles Quatsch mit Putins Anspruch auf Meinungshoheit? Nicht ganz, meint die Chefin der Filiale in Kasan, der wunderbaren Stadt an der Wolga und Hauptstadt der autonomen Erdöl-Republik Tatarstan. Es sei ein Tanz auf Messers Schneide. Es funktioniere nur, wenn sie es tatsächlich schafften, alle Perspektiven abzubilden. Zu einem Drittel gehört ihnen der Sender, Zwei Drittel hält Gasprom.
Und so tickt die Redaktion von Echo Moskwy in Kasan genauso fiebrig wie das Original in Moskau schon vor über 20 Jahren: hochprofessionell und mit einem Wortanteil von 70 %. Das Radio existiert wie ein UFO in der russischen Medienlandschaft, denn die ist sonst eher geprägt durch recht gleichförmige Berichterstattung und durch exsessive Werbung lokaler Unternehmen.
Der auf Umweltthemen spezialisierte Journalist Grigori Pasko sagte vor sieben jahren in der Berliner Zeitung in Bezug auf die Unabhängigkeit des Senders Echo Moskwy:
„Es wird uns erlaubt zu existieren, damit die Regierung etwas vorweisen kann, wenn die Frage aufkommt, ob es in Russland unabhängige Medien gibt. Es gibt mit der Nowaja Gazeta auch eine freie Zeitung. Aber es gibt keinen Fernsehsender, der wirklich kritisch berichtet. Das wäre auch zu viel des Guten, denn der Großteil der Bevölkerung wird über das Medium Fernsehen erreicht und manipuliert.“
Und spätestens jetzt sind wir ja auch ganz direkt beim Bild, das wir haben vom weiten Russland, dem irgendwie immer noch chaotischen Osten, den eingeschränkten Menschenrechten und den Freiheits-Vorstellungen im Gebiet des alten zaristischen oder später dann sowjet-imperialistischen Russlands- jetzt ganz im Griff des zentralistisch orientierten Putin. Radio geht nur als zentralistischer Informationskanal oder als belangloser Unterhaltungsfunk, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Etwas verwirrt verlassen wir die Filiale von Echo Moskwy am Stadtrand von Kasan, schließlich hatten wir ja anderes vor.
Und jetzt erbitte ich eine Pause.
...
Pause von den Zuschreibungen, die wir ja zu brauchen scheinen, wenn es um die schlechter bestellten gesellschaftlichen Felder unserer Welt geht, Pause von den Stimmen \\\\\\\"westlicher Berichterstatter\\\\\\\" über \\\\\\\"östliche Verhältnisse\\\\\\\", Pause eben ...
ich vermisse das Pausezeichen im Radio sehr. Es sprach für die Notwendigkeit anderer Dinge in dieser \\\\\\\"Pausenzeit\\\\\\\" - aber es hatte auch etwas von: jetzt passiert gerade gar nichts.
Jetzt passiert nichts.
Ich sage: Jetzt passiert nix.
Aber jetzt: Jetzt passiert ETWAS.
Menschen, die in Halle - in Deutschland - freies Radio machen, kommen nach Kasan, nach Russland oder Tatarstan, je nach Separatismus-Bedürfnis ... und behaupten: Radio könne mehr sein, als Information, sogar mehr als Echo Moskwy, oder doch wenigstens anders, (MEHR ist so ein unpassendes Wort, klingt eher nach Olympia: höher-schneller-weiter - Sotschi).
... also Radio Corax, ein freies Radio aus Halle an der Saale fährt mit 10 Leuten nach Kasan, der Hauptstadt Tatarstans an die Wolga und möchte das Medium Radio als Werkzeug attraktiv machen - Werkzeug für interkulturellen Austausch im eigenen Land. Und sie machen Termine mit Medienleuten, mit dem Haus der Völker Tatarstans und mit Ministerien.
\\\\\\\"Was meinen Sie denn mit Werkzeug?\\\\\\\"
\\\\\\\"Na, wenn es eine Frequenz gäbe an den Orten, wo keine Tataren und Russen wohnen, sondern in tschuwaschisch oder kasachisch gesendet werden könnte, und wenn dann noch die Menschen selbst ihre Inhalte auswählen könnten ...\\\\\\\"
\\\\\\\"Aber das sind doch keine Journalisten!\\\\\\\"
\\\\\\\"Aber es wäre doch trotzdem ein interessantes Radio!\\\\\\\"
\\\\\\\"Man könnte es probieren, aber das wird sicher teuer\\\\\\\"
\\\\\\\"Mobiles Radio könnten wir inzwischen so klein machen, dass wir es am Gürtel tragen und also Radio machend sogar auf der Wolga fahren könnten...\\\\\\\"
\\\\\\\"Das könnten wir ja dann im nächsten Sommer schon probieren.\\\\\\\"
\\\\\\\"Gibt es denn so leicht eine Frequenz für ein nichtkommerzielles Radio?\\\\\\\"
\\\\\\\"Leicht nicht, aber gibt es dann schon.\\\\\\\"
So wurde gesprochen - auf ministerialer Ebene ... überhaupt wurde viel gesprochen, auch auf Chefetagen großer Medien in Kasan und Desinteresse war so gar nicht zu spüren.
Warum also geht hier doch etwas, wo doch Putin gerade noch stärker auf Medienkontrolle setzt als je zuvor? Warum - obwohl alle Kenner Russlands vor der Fahrt nur die Stirn runzelten oder mitleidig auf unsere Schultern klopften? ... Vielleicht, weil es um gesellschaftlich relevante Themen ging - Interkultur und Zuwanderung sind auch Tatarstan wichtige Szenarien für die Zukunft und so müssen unsere beiden Länder ähnlichen Herausforderungen begegnen, das ist jedenfalls das politische Programm.
Und dass so etwas durchaus Kommunikation braucht, weiß man hier in Tatarstan - trägt das Zusammenleben doch ganz andere Züge als in Deutschland: über 120 Ethnien wohnen in diesem flachen Land an der Wolga; die aktuelle Immigration in das reiche Erdgas- und Erdöl-Land wird eher für noch größere Vielfalt sorgen.
Und es gibt eine erstaunliche Neugier, ob unser infantiler Blick auf Russland nicht vielleicht Neues hervorzaubert. Es begeistert hier in Kasan - dieses verrückte Vorhaben der Community-Medien, das Zusammenleben der Menschen über das Medium Radio zu befördern. Und so wird ausnahmsweise ganz selbstverständlich akzeptiert, dass Inhalte in diesem Medium Radio tatsächlich in Bewegung sein dürfen, nicht nur verkündet werden müssen.
Unsere gemeinsame spielerische Sicht auf gesellschaftliche Dinge gelingt: ein staatlich gelenktes interkulturelles Zetrum sagt ja zur Partnerschaft mit dem freien Radio aus Ostdeutschland - und ja: Radio könne eine gute Gelegenheit sein, Kommunikation herzustellen zwischen Ethnien und Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft.
Im Jahr 2014 solle es gleich beginnen, in fünf Sprachen, künstlerische Beiträge seien ausdrücklich willkommen. Selbst der staatliche Rundfunk ist im Boot, das Ministerium für Jugend und Bildung unterstützt die seltsamen Leute aus Ostdeutschland - und auch Echo Moskwy hat Interesse an einer Zusammenarbeit.
So leicht kann es sein. Radio ist toll.
Fast ist man gewillt, es Kommunikationsapparat zu nennen.
Aber das ist natürlich nur meine Euphorie nach der Rückkehr.
Ich weiß schon, keine Spur von Emanzipation im russischen Radio, kein Hauch von Experiment und Avantgarde - aber ... ein Ministück Chaos im geölten Apparat und die Interferenzen führen ein Eigenleben.