Der Funkamateur François Anen verschaffte sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die Lizenz zum Betrieb eines Mittelwellensenders, den er auf dem Dachboden eines Hauses in der Rue Beaumont in Luxembourg betrieb.
In den folgenden Jahren bemühte sich die Compagnie Luxembourgeoise de Radiodiffusion um eine offizielle Frequenz zum Betrieb des Senders, was jedoch von der International Broadcasting Union (UIR) zurückgeweisen wurde, die geringe Größe Luxembourgs rechtfertige nicht den Einsatz von Sendeleistung und Wellenlänge. Dahinter stand nicht zuletzt Großbritannien, das befürchtete, das Monopol inländischer Rundfunksendungen könnte durch Überreichweiten unterlaufen werden. Radiowellen machen nicht an Grenzen halt.
So sendete Radio Luxembourg Expérimental bis 1948 in gewisser Weise als Piratensender über die Grenzen Luxembourgs hinaus, das englisch-sprachige Programm war in Großbritannien sehr beliebt.
Die sehr kurz angerissene Geschichte Radio Luxembourgs veranschaulicht zwei Aspekte, die mir bei der Betrachtung des Radios bzw. von Medien allgemein immer wieder begegnen: Die geographische Wirklichkeit aller Medien und die damit verbundenen Raumideen, zwischen Selbstverortung und jeweiligen Begehrlichkeiten verschiedenster Akteure.
Einigen dieser Aspekte werde ich mich in den nächsten Wochen annähern, im Rahmen einiger Beiträge in diesem Blog und mit Bezug auf eigene Experimente und Projekte in diesem Feld.
Die Verbindung zwischen Raum und Medium ist nicht erst seit der massiven Verortung verschiedenster Inhalte mit ihrem wie auch immer begründeten Standort im Internet sichtbar.
Die beleuchteten Skalen alter Röhrenempfänger enthalten Ortsnamen, eingebettet in geometrischen Mustern, zwischen Längenangaben und Maßeinheiten, die sich nicht aufs erste Hinsehen erschließen. Warum finde ich Daventry auf meinem Nordmende Raumklang aus den 50ern? Was und wo ist Daventry, direkt neben Berlin, oder Droidwich neben Oslo?
Daventry ist eine Kleinstadt mit 25000 Einwohnern im englischen Northamptonshire. Aber es ist auch der Standort der Sendeantenne eines frühen Senders der BBC, des BBC Empire Service. Der Ort der Sendeanlage markiert den Punkt maximalen Kontakts zwischen der englischen und der walisischen Landmasse und garantierte damit hohe Reichweiten und Verbreitung.
Mit diesem Wissen gerät mir die Sendersuche auf dem alten Empfänger zur Navigation in einem Radioraum, dessen Topographien Aspekte der (Technik-)Geschichte, Geographie und benachbarter Gebiete enthalten. Die Skala wird zur Landkarte, der Klang und das magische Auge bezeichnen den Ort maximaler Annäherung.
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In der Dezemberausgabe der Wired, 1996, stand ein erstaunlicher Beitrag, 60 Seiten über 3 Spalten, Mother Earth Mother Board, vom SciFi Autor Neil Stevenson.
Der Artikel beschreibt die Reise des "Hacker-Touristen" entlang eines transkontinentalen Glasfaserkabels, quer durch widerspenstige Landschaften, politische Systeme und exotische Orte. Vor allem aber beschreibt er, wie globale Netze die Welt der Politik, Finanzen und Ideen verändern. Seit dieser Zeit ist einiges geschehen in den medialen Landschaften. Filmvorführer legen Festplatten ein anstatt Filmrollen, die analoge Fotografie ist weitgehend verschwunden, das Radio räsoniert über sein mögliches Ende, gelbe Telefonzellen, früher magischer Übergang zwischen Raum und analogem Cyberspace, gibt es auf Ebay zu ersteigern.
Karten sind zur zentralen Metapher im Internet geworden, Browser, Navigator und Explorer verweisen im Namen auf Raumtechniken, Abstände und Strecken, deren Maß nicht mehr Meter, sondern Millisekunden sind. In wenigen Jahren, seit ca. 2006, hat sich durch Google Maps & Earth ein globales Welt-Bild etabliert, dessen Autorität einem offiziellen Kataster in nichts nachsteht. Und dabei noch benutzerfreundlich ist.
Spätestens mit den Smartphones ist alles in Bewegung geraten. Stand vorher der Empfänger in der Küche, der Fernseher im Wohnzimmer, Theater und Kino in der Stadtmitte, so sind diese Ortsbestimmungen nunmehr weniger deutlich. Raum war vermutlich schon immer eher fiktional, mehr Repräsentation als Realität, geographische Imagination, vermittelt durch Kartographien, hinter denen handfeste Interessen standen und stehen.
Und Medien haben immer schon den Raum beschädigt, als Abenteuergeschichte, Ferngespräch oder Reisereportage. Mobile Media jedoch konfrontiert uns mit anderen Qualitäten, deren Dimensionen noch unklar sind, und deren Auswirkungen auf unseren Lebens- und Erlebens-Raum gravierend sein werden.
Was anfangs als gradueller Unterschied erschien, als lediglich technische Weiterentwicklung, gerät zu einer Art Krise des Raums. Selbstver-ständlich verschwindet dieser nicht, nur weil wir telefonieren, surfen oder SWR2 per App hören. Ebenso ist nicht ausgemacht, dass das notwendigerweise negativ sein muss. Vom trans-humanistischen Ideal der Verschmelzung von Mensch, Maschine und Medium hin zu totaler Virtualität sind wir jedenfalls noch ein Stück entfernt.
Aber die Virtualisierung aller Verhältnisse und Beziehungen verschiebt die Koordinaten. Unsere Träume und Wünsche haben fortan eine IP-Adresse und eine Geo-Koordinate. Da-sein ist in jedem Moment bereits vernetzt und auf Empfang, Anwesenheit lokalisiert und Gegenstand undurchsichtiger Analysen und Wertschöpfungen. Darin liegt eine Kränkung und der Verlust von Autonomie, gemessen zumindest an den Ideen aus den Anfangstagen des neuen Mediums.
Vielleicht tröstet das warme Rauschen sozialer Netze, mit seinen Erregungswellen und der gefühlten Nähe von Freunden über den Verlust an Handlungsfähigkeit hinweg. In diesem Dauergeräusch geht es nicht um Dinge, Themen und Inhalte, sondern darum, nicht verloren zu gehen, verbunden und in Kontakt zu sein mit der Welt. Diese Qualitäten hat man lange dem Äther zugeschrieben: verbindend, raumausfüllend, Leere überbrückend, vor aller Information. Im Rauschen des Radios ist davon zu hören.
Im Radio das Meer, heisst ein Buchtitel von Jürgen Becker.
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