Zwei Anmerkungen vorab, zum Raum und zum Digitalen:
Das „Digitale“ als eine vom Rest der (physisch-materiellen) Welt abgetrennte Sphäre zu betrachten, ist im nicht mehr hilfreich, wenngleich verbreitet. Das wäre in etwa so, als wollte man Wechselbeziehungen innerhalb von Gesellschaften anhand des Vorhanden- oder Nicht-Vorhandenseins von Elektrizität bewerten.
Ebenso ist die Begriff des Raums als rein geographischem nicht ausreichend für die Betrachtung medialer Räume. Auf eine Weise sind die uns erreichbaren und vorstellbaren Räume immer Handlungs- und Vorstellungsräume. Die gegenseitige Durchdringung von Raum und Medium wird anschaulich in der Nutzung der mobilen Geräte, die uns immer näher an den Körper rücken, sich multi-sensorisch bemerkbar machen und berührt werden wollen, Vital-Daten registrieren usw. Wir entwickeln offensichtlich sehr innige Beziehungen zu den Geräten.
Die Soziologin Saskia Sassen spricht von Mikroumgebungen von globaler Spannweite, in denen vormals geografische Gewissheiten unsicher werden, so z.B. die Idee des Zentrums. Zentren sind darin nicht mehr überwiegend räumlich bedingt und vorgestellt. Das kommunizierende Individuum wird zum seinem eigenen Zentrum, in dem sich lokales und entferntes räumlich und zeitlich überlagern und durchdringen.
Dieser Cyberspace ist keine abgetrennte technisch-virtuelle Sphäre, sondern hat bereits konkrete Auswirkungen auf den Stadtraum, etwa in Beijing, wo es eigens eingerichtet Fußgängerspuren gibt, die Kollisionen zwischen Personen verhindern sollen, die sich gleichzeitig auf dem Gehweg und im sozialen Netz befinden...
Hartmut Böhme liefert hier hilfreiche Stichworte, in seinem aufschlussreichen Text über Raum – Bewegung – Grenzzustände der Sinne (hilfreich auch in dem Sinne, dass ich weiterhin auf die eher einschränkenden und technisch konnotierten Begriffe wie virtual / augmented reality, cyberspace etc. verzichten kann...). Er beschreibt diese seltsam hybriden Räume treffender als Topografien, u.a. als
„...eine Vielzahl ineinander gefalteter, verkoppelter oder verschachtelter Topographien, die gleichwohl disjunkt sind. Topographien haben eine eigentümliche Objektivität, die aus ihrer Zwischenstellung zwischen Leibraum und Realraum hervorgeht. Wir glauben uns in ihnen vorzufinden, als seien sie in der Welt – und doch sind sie kulturelle Konstrukte...“ (S.63ff)
Wo liegt darin der Ort des Radios? Welche Raumstellen besetzt es? Da sind sicher zum einen der Ort des technischen Medium, wie im vorherigen Beitrag beschrieben: Sender, Antennen, Produktionsorte, geografisch auffindbare Orte. Weniger deutlich: der Ort der Hörer/Innen: in der Wohnung, im Auto, zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Situationen. Im klassischen Radio herrscht zwischen beiden eine Art systembedingter Kommunikationsarmut, verglichen mit den Möglichkeiten der digitalen Medien. Deshalb versuchen die Sender mit mehr oder weniger geglückten Maßnahmen, den Rückkanal, der mittels Maßnahmen der Regulierung und technischer Beschränkung seinerzeit verhindert wurde, im parallelen Medium wieder herzustellen, bis hin zur Aufgabe wesentlicher Merkmale des Radios (z.B. die Entkoppelung der Inhalte, on demand, von der simultanen Aussendung, in Form von Podcasts und Mediatheken). Der Wunsch nach Kontrolle steht dabei den möglichen neuen und experimentellen Formen oft entgegen. Interessante partizipative Formen sind eher selten, user generated content durchläuft einige Filter, bevor er über den Äther geht.
Dabei geht es nicht um die Ersetzung des einen (bewährte Formate und Programme) durch das andere („Interaktivität“ etc.), ein Radio als Social Network erscheint mir nicht sehr wünschenswert. Andererseits wird sich ein Radio, das auf die veränderte mediale Wirklichkeit seiner Hörerschaft nicht reagiert bzw. diese nicht aktiv mitgestaltet, zunehmend von seinem Publikum entfremden, anachronistisch und unbeweglich erscheinen. Das Radio hat im Lauf seiner Geschichte seine eigene Topographie entwickelt und behauptet, aber mit der Entwicklung des Internet treten andere Akteure auf, die scheinbar besser die veränderten Lebens- und Erlebensräume ihrer User verstehen und bedienen können.
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Mir ist das Radio über lange Zeit zu einer akustischen Heimat geworden. Es erreicht mich an den unterschiedlichsten Orten, sein Sound taktet meine Zeit, seine Anwesenheit erweitert die Dimensionen meines Raumes, seine spezifische Topographie hat die Geometrie meiner Ideen beeinflusst. Vielleicht liegt in dem oben beschriebenen erweiterten Raumbegriff ein Schlüssel oder Zugang zu einer offeneren Radiolandschaft. Meine eigenen Versuche und Experimente gehen in diese Richtung, natürlich ohne den Anspruch, ein neues Radio erfinden zu wollen oder zu können. Im Ausprobieren von Aspekten eines topographischen Radios werden mir jedenfalls die Umrisse und Ausdehnungen dieser Landschaften deutlicher.
Mehr zu den konkreten Projekten in Kürze.
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