Radio und Raum – Werkstattbericht I

12.08.2015

Seit einigen Jahren betreibe und entwickle ich die Plattform radio aporee. Dabei handelt es sich um mehrere zusammenhängende Projekte, die sich mit vorhandenen Klängen, Geräuschen, field recording in weitesten Sinn, beschäftigen und diese in einen geografischen bzw. lokal-räumlichen Kontext stellen. Die Klang-Kartographie radio aporee ::: maps, eines der am längsten aktiven Projekte, ist ein sog. „mash-up“ aus Aufnahmen und zugehörigen Metadaten, die auf aporee gespeichert sind sowie dem Kartenmaterial von Google Maps und Open Street View zur Visualisierung und Lokalisierung der Aufnahmeorte. Über die Jahre ist so ein offenes und partizipatives Archiv mit über 30000 Tonaufnahmen aus allen Teilen der Welt entstanden, beigetragen von Klangkünstlern, Workshops, Phonographers und Sound-Afficionados. Ebenso entwickelten sich über die Zeit Praktiken und Nutzungen des Archivs, zwischen Klangkunst, Dokumentation und erzählerischen Formen, die auf unterschiedliche Weise die im vorherigen Beitrag beschriebenen Räume bespielen, bzw. dedizierte Topographien ausgebildet haben.

 

Relativ schnell nach der Öffnung des Projekts sind Orte mit vielen Aufnahmen auf begrenztem Raum hervorgetreten, so z.b. am Maybachufer in Berlin, Ort eines regelmäßigen Wochenmarkts. Ich war neugierig, wie sich wohl ein Soundwalk durch die Klangbeiträge anhören würde, also ein Spaziergang durch die akustische Wirklichkeit dieses Ortes, zusammengesetzt aus Aufnahmen aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Personen. Daraus ist nach einigem Kopfzerbrechen und vielen Nächten des Programmierens eine Plattform für Hörspiele (und verwandte Formate) im öffentlichen Raum entstanden, die miniatures for mobiles.

Ein Hörstück dieser Plattform besteht aus einzelnen Klangstücken, die über eine Webbrowser-basierte Arbeitskarte mit konkreten Orten (Strassenecken, Gebäuden, Orten von Interesse) verknüpft werden. Das ganze Stück erschliesst sich nur, wenn man sich auf den Weg macht und den Spielraum im Rahmen eines Spaziergangs erkundet. Der Empfänger für diese Stücke ist ein Smartphone, ausgestattet mit der radio aporee App. Diese verknüpft und spielt die Sounds automatisch, gesteuert über GPS, mit den zugehörigen Orten. Eine miniature for mobiles ist also in den konkreten Raum eingeschrieben. Im Hören ergibt sich eine Überlagerung von Realraum und dem, was die AutorInnen eines Stücks über diesen Ort mitteilen möchten. Die Spannbreite der mittlerweile ca. 80 Arbeiten reicht von Geschichte(n), Dokumentationen, field recordings, Klangkunst bis hin zu sehr experimentellen Formaten. Das Deutschlandradio hat damit die RadioOrtung - Hörspiele für Selbstläufer realisiert.

Was hat das alles mit dem Radio zu tun, werde ich manchmal gefragt. Zum einen hat das Radio und seine Topographien als Anwesenheit von je her meine Arbeiten beeinflusst: seine Geschichte(n), Technologien und die imaginären Orte und Raumvorstellungen, die sich beim Zuhören immer wieder einstellen. Ineinander gefaltete Topographien, in denen wir uns vorzufinden glauben, als seien sie in der Welt.

Darüber hinaus war ich mir aber auch immer sicher, dass das so gefundene und erarbeitete Material, seine Verknüpfungen mit Geschichten, Orten und Personen, Gegenstand eines Radios sein können, zum einen weil es sich schlicht um Hörbares handelt bzw. vom Hören handelt, zum anderen, weil in meiner Vorstellung ein erweitertes Radio, das die Gleichzeitigkeit des Broadcasts mit den Möglichkeiten kommunikativer Netze verknüpft, das ideale Medium für diese Erkundungen und Suchbewegungen wäre; ein Experimentierfeld, das möglicherweise neue Formen und Formate hervorbringen könnte

Der Übergang vom Klangarchiv ins Radio kann dabei auf verschiedene Weise geschehen. Als ein Beispiel sei hier die Kooperation mit frameworkradio genannt, einem Projekt des Klangkünstlers Patrick McGinley. Seit weit über 10 Jahren erstellt Patrick wöchentlich ein jeweils einstündiges Programm, mit dem Focus auf field recordings, soundscape compositions und Klangkunst/-künstlern:

framework is consecrated to field recording and its use in composition [] framework‘s goal is to present not only the extremely diverse sound environments of our world, but also the extremely diverse work that is being produced by the artists who choose to use these environments as their sonic sources. 

Die mittlerweile mehr als 500 (!) Sendungen werden jeweils an ein internationales Netzwerk aus Radiostationen verteilt und zu festen Zeiten gesendet. Die Klang-Karte von radio aporee ist dabei eine wichtige Materialquelle für framework. Über eine Schnittstelle zum aporee-Server hat frameworkradio Zugriff auf neue Beiträge, Beitragende und von HörerInnen ausgewählte Favoriten. In verschiedenen Foren und Netzwerken werden die Sendungen angekündigt und z.T. diskutiert.

Umgekehrt werden so wiederum interessierte Personen auf radio aporee aufmerksam, usw. Dieses technisch-soziale Netzwerk zwischen den Akteuren ist gleichzeitig Infrastruktur und Transportmittel für die Verteilung der Sendungen als auch konstituierend für Inhalte, AutorInnen und Hörerschaft.

Seit einiger Zeit experimentiere ich intensiver mit der Möglichkeit eines topographischen Radios, das direkt mit dem Sound-Archiv der Plattform interagiert, auf Anwesenheit und Aktivitäten von HörerInnen „reagieren“ kann, sich über Sensoren und Live-Mikrofone mit unterschiedlichen Orten verbindet und dadurch auf eine Weise selbst zum Sensorium eines Radioraums wird; ein Radio, das in die Welt hinein hört. Wird fortgesetzt, stay tuned...

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