Mein letzter Blog-Eintrag war von einem gewissen Pessimismus geprägt, was akademische Radioforschung betrifft. Heute möchte ich zeigen, dass es durchaus eine lebendige Radio-Community gibt, die man jedoch nur findet, wenn man sich von gängigen Suchkategorien löst.
In der sozialwissenschaftlich ausgerichteten Publizistik und Kommunikationswissenschaft spielt das Radio tatsächlich eine untergeordnete Rolle – zumindest im deutschsprachigen Raum. Bis zum letzten Jahr gab es z.B. noch einen Masterstudiengang Hörfunk an der Universität Leipzig; heute kann dort nur noch ein Wahlfach im Bachelor belegt werden. Radiojournalismus scheint immer weniger gefragt zu sein. International (oder zumindest europaweit) bekommt das Radio wesentlich mehr Aufmerksamkeit. So hat sich um die Jahrtausendwende eine internationale Gruppe von Radioforschern zum IREN-Netzwerk (International Radio Research Network) zusammengetan. Die deutschen Vertreter in dieser Gruppe waren Uwe Hasebrink und der leider inzwischen verstorbene Hans J. Kleinsteuber. IREN ist aufgegangenen in der Radio Research Section in der europäischen Vereinigung der Kommunikationswissenschaftler ECREA (http://www.ecrea.eu/divisions/section/id/13). Diese Section ist sehr aktiv. Gegenwärtiger Chair ist Guy Starkey von der University of Sunderland; Vice-Chairs sind Maria Madalena Oliveira (Universidade do Minho, Braga) und Grażyna Stachyra (Marie-Curie-Skłodowska-Universität, Lublin). Weitere wichtige europäische Radioforscher sind Jean Jacques Cheval (Université Michel de Montaigne, Bordeaux3), Angeliki Gazi (Cyprus University of Technology), Stanislaw Jedrzejewski (Katholische Universität Lublin) oder auch Tiziano Bonini (Università degli Studi di Milano). Mit „The Radio Journal: International Studies in Broadcast and Audio Media“ gibt es ein hochrangiges, peer-reviewtes Wissenschaftsjournal (http://www.intellectbooks.co.uk/journals/view-journal,id=123/). Editor ist Tim Wall von der Birmingham City University. In Frankreich hat sich die Groupe de recherches et d’ètudes sur la radio GRER (http://www.grer.fr/) zusammengefunden. Die verschiedenen Gruppen sind vernetzt, es finden spannende Konferenzen statt: z.B. vom 20. bis 21. März 2014 in Straßburg das Kolloquium der GRER zu „Information et journalisme radiophonique à l’ére du numérique“ (hier der Call: (http://radiography.hypotheses.org/files/2013/10/Call-For-Paper-Grer-Strasbourg2014.pdf)
Auf europäischer Ebene tut sich also etwas! Auch in Deutschland kann man noch Radioforscher finden, wie z.B. im Studienkreis Rundfunk und Geschichte e.V. (http://rundfunkundgeschichte.de/), der kommunikationshistorisch ausgerichtet ist. In Hamburg leitet Hans-Ulrich Wagner die „Forschungsstelle Geschichte des Rundfunks in Norddeutschland“ (http://www.hans-bredow-institut.de/de/fgrn/forschungsstelle-geschichte-des-rundfunks-norddeutschland). Aktuelles wird z.B. von Golo Föllmer an der Universität Halle bearbeitet. Schauen wir nicht mehr nur auf Radio oder Hörfunk, sondern auf akustische Medien allgemein, so zeigen sich neue, bisher verborgene Facetten der Forschung. In der in geistes- und literaturwissenschaftlich fundierten Medienwissenschaft findet sich eine andere Forschungstradition. So hat sich in der Gesellschaft für Medienwissenschaft die AG Auditive Kultur und Sound Studies zusammengefunden (http://www.auditive-medienkulturen.de/), die Radio weniger als publizistisches denn ästhetisches Medium begreift. Das interdisziplinäre Projekt Radio-Ästhetik – Radio-Identität RARI (http://radioaesthetik.de/de/) soll kulturelle Eigenheiten von Klangkonzepten im Radio aufzudecken und die Beziehungen zwischen Klangdesign und individueller Nutzung von Radio untersuchen.
Die wissenschaftliche Perspektive hat sich also erweitert auf akustische Medien. Doch welche Faktoren haben zum Wandel des Mediums Radio beigetragen? Dies soll Thema meines nächsten Blog-Eintrags werden.