Schneesturm im Studio

15.07.2015

Was waren das noch für Zeiten, als ein gewisses Rauschen, nennen wir es ruhig Grundrauschen, zum guten Ton einer Radiosendung einfach dazugehörte. Schließlich gab es für selbiges allerlei plausible Erklärungen. Die mangelhaften Aufnahmegeräte das Bandmaterial oder mäßig gute Ausstrahlungen auf Mittelwelle.


Meine Mutter pflegte in den 1960er Jahren, wenn sie ihre Hausarbeit in der Wohnung verrichtete, das Ritual, einen geschlagenen Tag lang Bundestagsdebatten zu verfolgen, und das nicht in Zimmerlautstärke. Für ein Kind klang dies bedrohlich. Denn es waren Worte, die sich alte Männer an den Kopf warfen, die das Kind nicht verwenden durfte.
Das Interessante für mich war aber dieser Sound, dieser Schneesturm, der sich aus diesem seelenlosen Apparat, dem Dampfradio, gleichförmig in die Wohnung ergoss.
Es klang wie ein gewaltiger Kampf zwischen der Natur und Gladiatoren. Wie eine gewaltige Komposition aus gegenläufigen Schwingungen. Mal war der Sturm ganz nah und die Stimmen verschwanden in den Tiefen der sibirischen Steppe, mal war es umgekehrt.

Dann kamen bessere Mikrofone, dann UKW, kleine, mobilere Aufnahmegeräte (Tonband, Kassettenrecorder), dann kam Dolby A, B, C, S und Telkom, also Rauschverminderungssysteme. Die digitale Revolution bedeutete schließlich das Ende einer verrauschten Epoche. Sie bescherte uns das digitale Nichts.

So nennen wir das, wenn wir aus einem O-Ton einen z. B. einen Atmer herausschneiden und Nichts anderes an dieser Stelle einsetzen. Das klingt dann ein wenig unnatürlich. Deswegen setzen wir meistens wieder ein ganz leises Rauschen (Raum- oder Außenatmo) rein, damit man Nichts merkt. Nämlich nicht die Beklemmung, die dieses Nichts beim Hören in uns auslösen könnte.

Schließlich wurde das Rauschen zu einem Problem. Zu einem ernsten Problem. Zu einem Problem für Redakteur, Toningenieur, Regisseur, v.a. aber für den Autor. Weil er sich nicht ausreichend (strenger Blick) mit seinem Arbeitsgerät beschäftigt hat. So der Vorwurf. Weil er nicht nah genug dran war am Interviewten, zu niedrig ausgesteuert hat.

Dabei kann einem der Autor leidtun. An was er alles denken muss:
An seine technischen Geräte, volle Akkus, an eine gute Aussteuerung, Vertrauen schaffen zum Interviewten, nah ran mit dem Mikrofon, das Mikro in der Hand, nicht auf dem Stativ oder auf dem Tisch, damit die Worte sich nicht verdrücken können. Der Raum ist nicht hallig (kann man nicht schneiden), hat kein Neonlicht (hohes Störgeräusch), keinen Kühlschrank (tiefes Störgeräusch), keine Klimaanlage (Multi Störgeräusch). Nicht mit dem Mikro Richtung Fenster aufnehmen (klirrender Sound) und dann auch nicht den Grund vergessen, warum man überhaupt gekommen ist: das Thema!

Ausgetragen wird der Kampf um verrauschte O-Töne im Studio. Mit Filtern, dazu mischen von Atmos oder durch kleinere Textänderungen. Ich habe die Aufnahmen heimlich gemacht, das Mikrofon ist in meiner Jackentasche versteckt. Oder: Im Hintergrund rattert die Klimaanlage…, das Neonlicht wirft ein fahles Licht.., die großen Fenster reflektieren das Gesagte…, der Kühlschrank brummt bedrohlich im Raum... usw…

Die Rettungsversuche im Studio kosten unendlich Zeit, die für die eigentliche Arbeit, die Montage, die akustische Dramaturgie, die Komposition verloren geht. D.h., schlecht aufgenommene O-Töne klingen nicht nur schlecht, sie lenken auch von guten Inhalten ab. Weil sie uns anstrengen zuzuhören. Sie verursachen schlechte Stimmung im Studio und schlechte Laune beim Hörer.

Andererseits ist aber auch interessant, dass es bei den ersten rein digitalen Feature Produktionen immer mal dieses Wundern gab. Man hörte zwar keinen Schnitt, aber ältere Kollegen sagten damals immer, diese Sendungen klängen tot, die analogen Produktionen würden dagegen atmen oder leben. Doch das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

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