Serial und die Sender

16.10.2015

  Der Podcast-Hit Serial war im vergangenen Jahr nicht nur revolutionär und zukunftsweisend in seiner Machart, sondern hat auch verdeutlicht, wie sich das amerikanische Radio für die Zukunft organisatorisch anders aufstellen muss. „So, wie das amerikanische Public Radio aufgebaut ist“, sagt der Medienjournalist Adam Ragusea, „kann es nicht friedlich mit Podcasts koexistieren.“ Das Public Radio in den USA ist in Networks organisiert, das größte ist NPR mit rund 900 lokalen Radiostationen. Die Mitglieder des Netzwerks dürfen das Rahmenprogramm, das NPR produziert, exklusiv ausstrahlen. Sie mixen es mit selbst produzierten Sendungen. Manche Sender stellen außerdem ihre besten Sendungen über das Netzwerk von NPR anderen Sendern zur Übernahme zur Verfügung. So sind das bei WNYC in New York produzierte Radiolab und das bei WBEZ in Chicago produzierte This American Life fast auf allen NPR-Stationen zu hören. Auch Folge 537 von This American Life vom 3. Oktober 2014. Statt der üblichen drei Reportagen zu einem Oberthema stand diese Sendung ganz im Zeichen von Serial. Obwohl eigentlich ein reines Podcast-Projekt, wurde die erste Folge von Serial zeitgleich mit der Veröffentlichung im Internet in voller Länge – dreiundfünfzigeinhalb Minuten – im klassischen Radio ausgestrahlt. Aus Sicht der Macher ein logischer Schritt: das Serial-Team war aus dem Team von This American Life heraus entstanden. Da lag es nahe, das neue Produkt dem großen Publikum der Muttersendung bekannt zu machen. Für Adam Ragusea, der in seinem Podcast The Pub über Veränderungen im Public Radio berichtet, stellt es sich etwas anders dar: „Sie haben diese Sender im ganzen Land genutzt, um einen Podcast zu bewerben, der wohl Hörer von diesen Sendern abzieht. Einige Leute, die bei diesen Sendern arbeiten, haben da ein wenig verschnupft reagiert.“ Schwindende Monopole Das war wohl die bisher größte Kollision der Interessen von Podcastern und Radiomachern. Aber im Grunde gibt es das im Kleinen jeden Tag. Denn ein großer Teil der Inhalte, die NPR verbreitet, ist eben nicht mehr exklusiv bei NPR-Sendern zu hören. Sie sind für jeden jederzeit weltweit online abrufbar. Die 900 Mitglieds-Sender von NPR sind aber abhängig von ihrem lokalen Monopol auf die Verbreitung der beliebten Sendungen. Sie finanzieren sich hauptsächlich durch Spenden. Die Publikumsmagneten aus dem Network sorgen für das nötige Spendenaufkommen, um die lokale Berichterstattung mitzufinanzieren. Adam Ragusea sorgt sich deshalb darum, wie lange dieses Modell noch funktioniert. Gleichzeitig scheint es einen Trend zu geben, dass die Produzenten dem Netzwerk den Rücken kehren. Aus dem markanten Vorspann von Radiolab ist die Nennung von NPR neben dem Sendernamen WNYC vor einigen Monaten verschwunden. Die Verbreitung von Sendungen selbst zu übernehmen oder auf besser auf die Online-Gegenwart ausgerichtete Netzwerke wie PRX zu setzen, scheint geboten zu sein. Netz statt Network Der Moderator und Miterfinder von This American Life, Ira Glass, hat kürzlich ein eigenes gemeinnütziges Unternehmen gegründet, um die Sendung und auch weitere Staffeln von Serial zu produzieren, und hat sich damit von seinem bisherigen Kooperationspartner Chicago Public Media abgekoppelt und ist unabhängiger vom Sender WBEZ geworden.Es gibt eine ganze Generation von Leuten, die nicht als klassische Angestellte arbeiten wollen“, sagt Dean Cappello von WNYC. „Wir müssen herausfinden, wie das funktioniert, was es rechtlich bedeutet: Wer hat Rechte an was?“ Das klingt nach dem Aufbrechen bisher fester Bindungen und Strukturen und dem Wechsel zu flexibleren Organisationsformen. Kurz nach dem Interview für diesen Beitrag macht Dean Cappello Nägel mit Köpfen: WNYC hat einen neuen Podcast-Ableger gegründet, der mit einem Budget von 15 Millionen Dollar ausgestattet werden soll. Amerikas größter Radiosender ist kein Radiosender mehr, sondern eine Audio-Manufaktur. Sendemasten und Vertriebsnetzwerke mit Mitgliedsstationen braucht man zur Verteilung der Audio-Produktionen offenbar immer weniger. Unklar ist aber immer noch, wie das Geschäftsmodell dahinter aussieht – und wie kleinere Sender diesen Wandel vollziehen und überleben können.  

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