Vom Radio auf die Bühne und zurück

08.12.2013

Kulturelle Grenzüberschreitungen gibt es in den unterschiedlichsten Formen. Im Bereich des Hörspiels sicher ungewohnt ist die Adaption eines Radiostücks für die Bühne. Der Autor, Regisseur und Performer Till Müller-Klug machte dieses und letztes Jahr genau das mit seinem „Sprachlabor Babylon“ (WDR 2011). Als Mitglied der Performance Gruppe Interrobang brachte er eine kommerzialisierte Zukunft unserer Sprache auch als interaktives Preenactment (womit das Gegenteil des rückwärtsgewandten Reenactment bezeichnet werden soll) in die Berliner Sophiensaele, mit denen er oft zusammenarbeitet. Es war nicht die erste Hörspieladaption von Till Müller-Klug, er hatte bereits gemeinsam mit Bernadette La Hengst aus dem Hörspiel „Der innere Innenminister“ (Eigenproduktion 2008) eine Performance gemacht, die produziert wurde von den Sophiensaelen, dem FFT Düsseldorf und Alte Liebe Produktionen. Unabhängig von den direkten Hörspieladaptionen fließen Mittel akustischer Sprachkunst aber oft auch in außerhalb des Radios zu verortende Projekte ein, an denen Müller-Klug beteiligt ist. Das ThAEtrofon ist ein Beispiel. Es wurde von Interrobang mitentworfen und hat diesen Herbst in verschieden Theatern deutscher Städte Publikumspositionen zu der Frage eingeholt, wie die Zukunft des Theaters aussehen sollte. Das ThAEtrofon lässt sich als Telefon in einer mit rotem Samtvorhang abgeschotteten Kabine beschreiben. Nimmt man den Hörer ab, wird man in einem Sprachmenü befragt, die Antworten werden aufgezeichnet. Die Buchstabenumstellung geht auf Bertolt Brecht zurück, der durch den Lautwechsel das Theater neu denken wollte. Tatsächlich werden die Teilnehmer der Befragung ganz im Sinne des Radiotheoretikers Brecht von Empfängern zu Sendern, und sozusagen von Opfern zu Tätern. Was sie an launigen Meckereien, aufmunternden Worten und konstruktiver Kritik abgelassen haben, ist unter anderem als Klanginstallation in den Sanitärräumlichkeiten zu hören – und fließt in die ThAEtermaschine ein (thaetermaschine.tumblr.com). Es handelt sich dabei um eine modulare Aufführung zur Zukunft des Theaters. Die Module werden von verschiedenen Theater- und Performancegruppen gestaltet. Zum ersten Mal konnte man Ende November in den Berliner Sophiensaelen diesen Abend erleben. Es treten unter anderem die Performer Till Müller-Klug und Nina Tecklenburg von Interrobang gemeinsam mit Lajos Talamonti auf. Ihre ThAEtrokratie führt das Prinzip des ThAEtrofons weiter und mischt grob gesagt Debattierclub mit Plebeszit. Das Publikum beteiligt sich in Form von Abstimmungen. Am ersten Aufführungsabend sorgte es dafür, dass Talamonti gewann, der in seiner Rolle für eine neoliberale Zukunft des Theaters Partei ergriff. In lockerer Art und Weise hatte er zuvor für das Bewerfen schlechter Schauspieler mit Eiern plädiert und außerdem klargestellt, dass die sich selbst ausbeutenden Akteure der freien Szene mit ihrer elitären Haltung schon jetzt eine exemplarische Verkörperung des neoliberalen Prinzips seien. Dass es sich tatsächlich so verhalten könnte, legt das Modul des Performancekollektivs copy & waste nahe (an dem der als auch als Originalhörspielautor aktive Jörg Albrecht beteiligt ist). Hier ist ein Video zu sehen, das den Titel „Alles, was wir über Theater wissen, lernten wir vom Porno“ trägt. Es basiert auf der 2009er Websoap „Andy Girls“ von copy & waste, deren Charaktere jetzt auf dem selbsterfundenen Gebiet der theatralen Pornoindustrie unterwegs sind, denn: „Das bringt Geld, das wollen die Leute sehen“. Die beiden weiteren Module – ein kurzweiliger Monolog Michael Meichßners vom Deutschen Theater Göttingen sowie eine Roboterperformance mit Publikumsbefragung der Gruppe Turbo Pascal – werfen ebenso wie die oben genannten Arbeiten die Frage auf, wie es nicht nur mit dem Theater, sondern mit der Kunst überhaupt weitergehen soll. In den unterschiedlichen modularen Performanceparts werden die in allen Sparten des Kulturbetriebs greifenden Marktmechanismen mal verzweifelt, mal sarkastisch und mal mit rebellischer Haltung thematisiert. Insgesamt sehr selbstbezüglich, aber ähnlich wie Rafael Jovés Hörspiel „Das Radio ist nicht Sibirien“ (Bauhaus Uni Weimar 2011), werden die Produktionsbedingungen der sogenannten Kulturschaffenden kritisch reflektiert. Die ThAEtermaschine wird 2014/15 durch die beteiligten Theater der BRD touren. Und vielleicht kommt ein Hörfunkredakteur auf die Idee einer Adaption fürs Radio? Die Aufführung verfügt bereits auf der Bühne über eine starke Neigung ins Akustische. Etwas schwierig dürfte sich eine Publikumsbeteiligung gestalten, wenn man kein Live-Hörspiel oder aber „social radio“ benutzen will. Eine Umarbeitung müsste aber machbar sein, schließlich sind mit Till Müller-Klug und Jörg Albrecht zwei erfahrene Hörspielautoren an den Performances beteiligt. Es wäre interessant zu hören, wie eine Theateradaption im Radio klingt, die nicht auf einer statischen Textgrundlage basiert, sondern auf der darstellenden Arbeit von Performern der freien Szene.

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