Der staatliche ungarische Radiosender – auf ungarisch: Magyar Rádió – spielte während seiner über 90jährigen Existenz in wichtigen Augenblicken und Prozessen der ungarischen Geschichte desöfteren eine Schlüsselrolle.
Während der antikommunistischen Revolution 1956 riefen Aufständische im Rundfunkgebäude in der Sándor-Bródy-Straße das „Freie Ungarische Radio“ aus, später, während der Niederschlagung des Aufstandes, wurde das Gebäude des Rundfunks schwer zusammengeschossen. Ende der 1980er Jahre waren einige Sendungen von Magyar Rádió, etwa „168 óra“ (168 Stunden, das heute noch als Wochenmagazin existiert), mit unter denjenigen Medien, die als erste die Tabus der kommunistischen Diktatur brachen.
Nach dem „Systemwechsel“ 1989/90 avancierten viele Sendungen auf Kossuth Rádió, dem Nachrichtensender von Magyar Rádió, zu Flagschiffen des unabhängigen Journalismus, einige wie „Vasárnapi Újság“ (Sonntagszeitung), waren auch rechtsextreme Bastionen.
Im so genannten „Medienkrieg“ nach 1990, als die konservativen Machthaber um den Regierungschef József Antall und seinen Nachfolger Péter Boross den staatlichen Rundfunk umkrempeln wollten, war das Gebäude in der Sándor-Bródy-Straße oft Schauplatz von Kundgebungen und Protesten.
Zwar verlor Magyar Rádió im Laufe der Jahre an journalistischer Bedeutung, auch, weil es nicht gelang, seinen schwerfälligen Apparat, der noch aus der kommunistischen Zeit stammte, zu reformieren. Allerdings hatte Magyar Rádió selbst zu Zeiten, als die Konkurrenz durch Internet und neue Medien schon groß wurde, immer noch journalistische Highlights zu bieten, etwa die morgendlichen Nachrichtensendung „180 perc“ (180 Minuten).
In dieser Sendung fand auch der letzte freiheitliche Journalistenprotest im ungarischen Radio statt, bevor der gesamte Komplex der öffentlich-rechtlichen Medien in Ungarn durch die Mediengesetze der Regierung unter Viktor Orbán organisatorisch zerschlagen und inhaltlich gleichgeschlaltet wurde: Am 21. Dezember 2010 protestierten zwei Redakteure der Sendung, Zsolt Bogár und Attila Mong, mit einer einminütigen Schweigeminute gegen die Mediengesetze. Sie wurden dafür vom Dienst suspendiert. Es war das Ende einer bewegten Radiogeschichte.
Inzwischen ist Magyar Rádió – wie alle öffentlich-rechtlichen Medien in Ungarn, also auch das Fernsehen und die Nachrichtenagentur MTI – zu einem schlichten Verlautbarungsorgan der Regierung und des Ministerpräsidenten Viktor Orbán verkommen. Die Stammbelegschaft ist winzig, die Inhalte der Sendungen werden von den Angestellten des staatlichen Medienfonds MTVA produziert, in den nahezu sämtliche Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks transferiert wurden.
Zensur gibt es offiziell nicht. Und auch inoffiziell eher selten. Denn alle Journalisten wissen, was und wie sie zu berichten haben. Falls sie sich einmal nicht daran halten, sind sie ihren Job los.