Welt. Radio. Film im Kopf I.

23. Oktober 2013

Josefine hat das Radio für sich entdeckt. Josefine ist meine Tochter (und auch sonst noch eine ganze Menge). Josefine hat eine rote Boombox, und die steht neben ihrem Bett. Mit der Boombox kann sie CDs hören, Kassetten und Radio. Jetzt hat sie das Radio entdeckt. Was das Rauschen sei? Warum man an diesem Rädchen drehen müsse? Ob die Zahlen was bedeuten? Was das sei: „Frequenzen“? Und sei Skala nicht eine Zeitschrift? Die selben Fragen habe wahrscheinlich auch ich (mich) gefragt, damals, vor 35 Jahren. Nicht, daß ich mich daran erinnern könnte. Aber so muß das gewesen sein. Das Radio, die Fragen und die Antworten. Josefine hört lange mit Kennerblick dem Rauschen zu und entdeckt den Schieber „MW“. Da rauscht es anders. Bei „LW“ noch mal anders. Eine Minute Rauschen, zwei Minuten Rauschen. Aufmerksames Gesicht. Sie schaltet zurück und dreht das Rad. Deutschlandfunk, Verkehrsnachrichten. Wo liegt Holzwickede? Was ist ein Autobahndreieck? Was macht man, wenn Gegenstände auf der Straße liegen? Große Freude, als bei Paderborn Tiere auf der Fahrbahn laufen. Dann: Warum laufen die da? Josefine ist neun. Die ganze Welt in einer roten Boombox. Das ist gut. Weniger gut ist, daß auch Radio Teddy in der Boombox ist. Mach mal leiser, bitte!, sage ich (Und ahne, das ist der Vorspann noch vieler weiterer Diskussionen um unterschiedliche Hörgeschmäcker in den nächsten Jahren...) Josefine mag vor allem die Werbung, die findet sie skurill. Und die Hörspiele um kurz nach sieben. „Kopfkino“ nennt Radio Teddy das in seiner Eigenwerbung. Und ich frage mich, woher die Produzenten dieser Hörspiele all diese hysterischen, schrillen und durchgehend arroganten Schauspielerinnenstimmen herbekommen: Gibt's da irgendwo eine mir bisher unbekannte Agentur für „Die blasiertesten Stimmen Deutschlands“? (Wer die Hörspiele, die für private Kinderradios produziert werden, schon mal gehört hat, weiß, wovon ich rede.) „Kopfkino“ also. Ich verdiene mein Geld damit, Features zu machen. Einige Featureredaktionen werben auf ihren Homepages noch immer damit, Feature sei „Kino im Kopf“ – eine völlig behämmerte Bezeichnung, über die Walter Filz bei der Verleihung des Kriegsblindenpreises schon vor 13 Jahren das Passende gesagt hat. Was soll man denn da bitteschön sehen, wenn man hört? Das Besondere am Hören ist doch, daß es nichts zeigt, sondern akustische Variablen anbietet, die man füllen kann oder eben nicht. Radio ist ein Angebot, ein Ephemeres, nix da Überwältigung, nix da Kino... Ich habe mich einmal versprochen, als ich mit Josefine über Radio Teddy sprach. Ich habe gesagt: „Teddyradio“. Da war sie eingeschnappt: Das sei doch kein Radio für Teddys... Ich glaube, ich werde es weiterhin Teddyradio nennen. Verkehrung der Syntax: Meine einzige Waffe. * Freund Kai erzählte mir, daß er hauptsächlich Radiostreams hört (wie ich). Als er, aus alter, radiosozialisierter, Gewohnheit sich aber einmal die Armbanduhr nach den Pieptönen der Sechsuhrnachrichten stellen wollte, dachte er: Das kann nicht sein. Die Nachrichten hatten sich durch die Umwandlung ins Digitale um fünfzehn Minuten verspätet. Vielleicht gibt es doch einen Unterschied zwischen „Radio“ und „Stream“... Mal einen Medienwissenschaftler fragen.

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