Weltweit kurz angebunden

RR #3: Reflexion

Ich höre digital. Podcasts, Musikstreaming, selbst Live-Radio im Auto läuft bei mir vorzugsweise über das Smartphone … LTE sei Dank. Es ist für mich komfortabler (Sender-Favoriten speichern bleibt eine Fummelei), ich bekomme Zusatzinfos (wie heißt die Sendung/der Titel, was kommt als nächstes) und die On-Demand-Angebote entsprechen eher meinem Tagesablauf als starre Sendezeiten. Und so ganz nebenbei überwindet das World Wide Web die analogen Fesseln des „Sendegebietes“: Mit der Fingerspitze wechsle ich vom lokalen freien Radio zu BR5, dann über die Grenze nach UK, zwischendurch mal Musiksender aus dem arabischen Raum … oder doch lieber ganz fremden Sprachen lauschen, die einfach schön klingen?
 
Aber auch als volldigitaler Mensch feiert man ganz analog Geburtstag. Und zu diesem bekam ich von einigen Freunden & ehemaligen KollegInnen einen analogen Weltempfänger geschenkt: Teils als Reminiszenz an die gemeinsame Radio-Zeit, teils als Referenz auf meine Technikverliebtheit. Dementsprechend viele Knöpfe, Regler und Tasten hat mein neuestes „Gadget“, und natürlich kann es die besten Hits von gestern bis übermorgen auf den regionalen UKW-Frequenzen empfangen; aber das Besondere ist der Kurzwellen-Tuner. So saß ich gegen Ende der Geburtstagsparty mit den Schenkenden am Tisch und wir suchten nach Sendern. Heutzutage ist das SW-Spektrum dünn besiedelt, sodass man sich eine Weile wie in einer dieser Radiokunst-Installationen vorkam: Rauschen, mehr Rauschen und zwischendrin mal Modulationen, die nach 80er-Science-Fiction-Film klangen. Dann plötzlich: Englisch, aber irgendwie mit komischem Akzent … und sobald jemand der (sehr langen!) Stabantenne zu nah kam, rauschte es wieder etwas. Der Inhalt des Gehörten war zunächst nebensächlich, wir unterhielten uns über Radio und anderes. Die vielbeschworene Hintergrundnutzung. Aber das Radio blieb an.
 
Später, als die Gäste gegangen waren, war es mir beim Aufräumen tief in der Nacht zu still in dem Saal, den ich dafür gemietet hatte. Deswegen lief die englischsprachige Unterhaltung mit seltsamem Akzent weiter – und ich hörte genauer hin. Erst nach einigen Minuten merkte ich, dass ich da wohl die Nachrichtensendung von China Radio International hörte – live aus dem rund 7.500km entfernten Peking. So ganz ohne Internet, einfach über den Äther. Mit einer Mischung aus Faszination und dem Gefühl, nicht ganz allein in der Nacht unterwegs zu sein, nahm ich das Radio mit raus auf die Straße bis nach Hause. Selbst im Treppenhaus hoch war Radio China International mein Begleiter, erzählte mir von der chinesischen Perspektive auf die Weltwirtschaft und das Weltgeschehen (oder zumindest dem, was die Regierung für richtig hält).
 
 
Im Alltag seither reicht die Welt in meinem neuen Radio dann doch meist nur 2km bis zum Sendehaus des MDR, oder digital auf Abruf zu Serverfarmen irgendwo auf dem Globus. Aber hin und wieder gehe ich auf Weltreise – vom Küchentisch aus.