Wir müssen reden. Über un-fair radio.

13.11.2014

Es gibt die Dinge, über die rede ich als Radiomacherin nicht gerne. Dennoch tue ich es. Seit Jahren. Ich rede über das, was hinter den Kulissen passiert. Darüber, wie wir ganz praktisch Radio machen, manchmal mit Methoden, die ich fragwürdig finde. Denn in meinem inzwischen über zwanzigjährigen Berufsleben als Hörfunkerin habe ich in ganz unterschiedlichen Sendern, Seminaren und Redaktionen immer wieder Dinge erlebt, die ich für bedenklich halte. Beispiele - Eine Korrespondentin beschreibt reportagig, was sich bei einem lang erwarteten Großereignis abspielt – mit Details, genauen Schilderungen, Szenen. Die Aufnahmezeit zeigt aber: Die Beschreibung wurde gemacht, als das Ereignis noch gar nicht begonnen hatte. - Ein Moderator zerschneidet das höchst emotionale, persönliche Interview eines Kollegen. Darin hatte eine Frau Ihre tragische Familiengeschichte erzählt. Der Moderator holt sich nur die Antworten. Auf Sender spielt er das Interview nach, als hätte er selbst mit der Frau gesprochen. - Ein Beitrag über eine sendereigene Veranstaltung, in der der Bürgermeister sagt: Toll war’s. Die Produktionszeit zeigt aber: Da hatte die Veranstaltung noch gar nicht begonnen. Und auf Nachfrage stellt sich raus: Der Reporter hat den Bürgermeister tatsächlich angeleitet: Tun Sie doch mal so, also ob.... - Ein Kollege ruft einen Star an vor seinem 50sten Geburtstag und sagt: „So. Und jetzt lassen Sie uns mal so tun, als wär die Party schon vorbei. Schildern Sie doch mal wie es war.“ Also: Wie es gewesen sein wird. - Eine Redakteurin zieht einen vier Jahre alten Beitrag aus dem Archiv zieht und schickt ihn auf Sendung, weil da schon mal reportagig über ein Projekt berichtet wurde, das durch eine aktuelle politische Diskussion wieder interessant erscheint. Auf Sendung ist in der Anmoderation von „Jetzt“ die Rede. Weder mit dem Reporter noch mit den Protagonisten wurde Rücksprache gehalten, ob das Projekt noch aktuell ist und ob die Gesprächspartner noch leben(!). - Der Höhepunkt einer Höreraktion – der 100.000ste Anrufer – soll unbedingt morgens in der Primetime auf Sendung. Also werden Antworten des „100.000sten“ Anrufers schon am Vorabend aufgezeichnet. Die spielt der Moderator morgens als Gespräch nach. Vorher hat er aber noch den spannenden Aufruf platziert: „So, die 100.000 ist in Sichtweite. Rufen Sie an. Die machen wir jetzt voll.“ Wie gesagt: Alles Fälle, die ich selbst erlebt habe. Und mehr als die berühmten „Einzelfälle“. Denn vor inzwischen sieben Jahren hat sich bei einer Diskussionsrunde bei den Tutzinger Radiotagen gezeigt: Viele Radiomacher, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, kennen solche Situationen. Jede/r hatte ähnliche Fälle zu erzählen und viele erzählen sie uns bis heute. Denn aus der Diskussionsrunde von damals wurde noch in Tutzing die Initiative fair radio fair radio, ein loser Zusammenschluss von RadiomacherInnen und -hörerInnen. Gemeinsam werben wir für mehr Glaubwürdigkeit im Radio und wünschen uns unter anderem weniger Inszenierungsfakes. Wir schildern und diskutieren Fragwürdigkeiten und sammeln Ideen, wie man es anders/besser machen könnte: Ethik-Fragen Zugegeben: Nicht immer machen wir uns damit Freunde. Und nicht selten werden wir böse beschimpft. Als ahnungslose Nestbeschmutzer und wirklichkeitsfremde Besserwisser. Schließlich sei das, was wir kritisieren, allgemein üblich im Radio. Und die Kritiker haben ja Recht: Die geschilderten Inszenierungsmethoden haben das Radio längst durchdrungen: „So macht man das eben.“ Für mich macht sie das aber nicht weniger fragwürdig. Ich jedenfalls bin überzeugt: Radio machen geht auch ohne Fakes. Ohne Hörertäuschung. Journalistisch sauber. Und ohne das Risiko aufzufliegen. Und deshalb rede ich über solche Methoden. Bevorzugt mit den Kollegen. Besonders gerne mit jungen Kollegen. Auf dass sie wissen: Das macht „man“ so, aber sie dürfen und können es auch anders machen.

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