Als Ljubica Letinic mich verabschiedete, hatte sie mir noch eine CD mitgegeben. Zwei Wochen später klickte ich mich dann durch die Stücke, die unter ihrer Regie im HRT (Hrvatska Radio Televizija) entstanden waren. Ich war begeistert. Was ich da hörte, war wirklich „Schreiben mit dem Mikrofon“: Sparsame Narration, die Handlung wird durch Live-Situationen, Geräusche und O-Töne vorangetrieben. Klug eingesetzte Musik.
Ich hatte Ljubica zum ersten Mal im vergangenen Sommer getroffen: auf einem antifaschistischen Stadtspaziergang, der aus Anlass des 70. Jahrestags der Befreiung Zagrebs stattfand. Ljubica sammelte Material für ein Feature, und schon damals war ich beeindruckt: Sie hatte einen eigenen Tonmeister mitgebracht und ein riesiges Richtmikrofon; so ausgerüstet hatte ich bis dahin noch keine Radiokollegen aus der Region bei der Arbeit gesehen. Hier wollte jemand offenbar nicht nur irgendeine verschwommene Atmo, über die dann ohnehin drüber erzählt wird, sondern tatsächlich den bestmöglichen Ton. Denn Töne, das wusste ich jetzt, sind das tragende Element in allen kroatischen Features – sowohl in dem monatlichen Studenformat „audio.doc“ als auch in der halbstündigen Wochenensendung „Skrivena strana dana“ (Die verborgene Seite des Tages). Beide werden von Ljubica betreut.
Vor unserem Treffen im kroatischen Nationalradio HRT hatte ich gelesen, dass Kroatien das Land ist, wo vor 90 Jahren "Radio Zagreb" als erster Sender Südosteuropas on air ging (und als einer der ersten in Europa). Wo schon ein Jahr später das erste Hörspiel gesendet wurde. Und wo seit 19 Jahren das renommierte und einzigartige Marulic-Festival auf der Adria-Insel Hvar stattfindet, das sich über die Jahre zu einem internationalen Forum für akustische Kunst gemausert hat. Aber: Die Bedingungen, unter denen sie arbeitet, werden immer schwieriger, hatte Ljubica geklagt. Dem Festival, jahrelang von HRT organisiert, wurde der Etat gestrichen, was vermutlich den Todesstoß bedeutet (update: Nach internationalem Druck wurde diese Entscheidung inzwischen zurück genommen; das Festival wird auch dieses Jahr stattfinden). Und innerhalb des Senders ist sie unter insgesamt 800 Angestellten die einzige, die die Fahne der produzierte Langform des Radio-Doks hochhält und sich damit, wie sie sagt, dem „Trend zur Liveshow“ entgegengestellt. Die Kritik ist die übliche: Zu teuer, zu wenige Hörer.
Dabei kann das Department für „radio drama“, aus der auch die Feature-Abteilung hervorgegangen ist, auf eine lange Tradition zurück blicken. Mit anderen Radioenthusiasten inner- und außerhalb des Senders hat Ljubica schon vor Jahren die Archive durchforstet und dabei die alten „Schätze“ aus den goldenen 1970er und -80er Jahren wieder ans Licht geholt; in privaten Wohnungen oder einem Buchklub haben sie sich versammelt, gehört und diskutiert. Auch Pavlica Bajsic Brazzoduro war damals dabei, die Tochter des großen Radiodramaturgen Zvonimir Bajsic, der als erstes auch mit dokumentarischem Material gearbeitet hatte. Viele Jahre später hat Pavlica ihr radiophones „Thaeter“ realisiert. „Hörspiel: mala igra za slusanje (i gledanje)“ heißt das Stück, in dem sich Radio und Theater treffen: ein theatralisch-akustischer Spaziergang durch durch die Frühgeschichte von „Radio Zagreb“.
Ljubica hat mit auf der Bühne gestanden. Nach über 20 Jahren beim kroatischen Radio ist die Begeisterung für das Medium geblieben, ihre Zukunft sieht sie aber wohl außerhalb des Senders. Aber vielleicht gilt das ja auch für die Zukunft des Radios selbst: „radijo van radija“ heißt die Idee, die sie mit Pavlica teilt. Radio außerhalb des Radios. Das dokumentarische Radio wird überleben, ist sie sich sicher, aber vielleicht eben doch woanders.