Heiße Greise

Feature von Feelgood

Dauer: 3:07 Minuten

Audio-Nr: #3552

Inhalt: Über 60? Kaputte Knie? Macht nix, geh' trotzdem hin: Du bist nie zu alt für's nächste Stones-Konzert! Dance to the music! Gönne dir mal wieder 'ne Dosis Adrenalin. Fun matters.

Ereignis Ort: Olympischer Platz 3, 14053 Berlin, Germany
Skript: Stones-Konzerte sind wie Jungbrunnen. Du steigst hinab, rockst dich durch Deine Vergangenheit und selbst das Knie, das eben noch chronisch schmerzte, erträgt den Schwung deiner Hüften, steht mit Dir auf, weil Du nicht hocken bleiben kannst, wenn der Beat dich trifft - mitten ins alte Herz. Klar klappt das nicht wie bei Jagger. Zwar sind wir alle über 60 Jahre alt, aber der Schlacks hat hochbezahlte Fitness-Coaches und extrem teure Sauerstoffgeräte im Background - kann kurz mal einen durchziehen. Also tobt der Mick wie ein Derwisch über die Bühne und man selbst gibt hilfsweise den Richards – frisch medikamentiert und cool bis zum Abwinken. Ich hasse dieses „Weißt Du noch?“ und auch dieses: „Damals war’s!“ All das Gesülze ist mir ziemlich egal und wenn ich mich an mein letztes Stones-Konzert im Berliner Olympia-Stadion des Jahres 2006 erinnere, geht es auch vielen anderen ebenso: Jetzt ist! Wir werden gemeinsam alt und haben den gleichen Spirit. Und nehmen Kontakt auf. n) Genau wie der Typ da vorne. Sein graues Jackett liegt längst auf der Bank neben ihm, hemdsärmelig steht er da, nichts hält ihn , auch nicht der noble Job , den er noch einige wenige Jahre erledigen muss: „This could be the last Time“ Er spürt genau, da war irgendwann noch mehr. Ganze Familien rocken hier ab. Mit Kind und ohne Kegel. Da zeigen Vater und Mutter mal, daß es „Hot Spots“ schon vor der Erfindung des Mobilfunks gab. Sounds, die genau den Punkt treffen. Da stehen wir. Alles heiße Greise. Auf der Straße hätten wir uns nicht erkannt. Aber hier: We are family! Auch der Dicke mit dem grauen Bart und Ruby, seine alte Hippiefrau. Recht haben sie: Wir wollen keine Ü50- oder Ü60-Parties, wir wollen auch nicht die angeblich besten Hits der 70- und 80er-Jahre. Wir brauchen den direkten Kontakt, den Sound, der uns immer noch heiß berührt und verrückte Bilder ins Hirn malt. Den Sound, der klarmacht, daß nichts verloren geht, daß etwas bleibt. Bis an's Ende.
Upload Datum: 12.11.2017

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Dokublog Autor Feelgood

Zum Autor: Detlef Berentzen wurde 1952 im Schatten einer „sentimentalen Eiche“ (H. Heine) geboren, besuchte im westfälischen Bielefeld die obligatorische Volksschule und das berühmt-berüchtigte (Rats-)Gymnasium. Seit 1971 lebt er, nach kaufmännischer Lehre (Oetker) und ersten Schreibversuchen, dauerhaft in Berlin. Dort studierte er Ökonomie und Philosophie,verfasste Kolumnen für Szenezeitschriften, arbeitete in Kinderläden und Kollektiven. Ab 1981 schrieb er für die „taz“, deren Redaktion und Geschäftsführung er angehörte. Berentzen war Gründer der Zeitschrift für Kindheit „enfant t.“, die er fünf Jahre lang redaktionell betreute.Seit 1987 als freier Journalist und Autor tätig, hat er seitdem für alle wichtigen Rundfunk- und Fernsehanstalten Features und Dokumentationen zu Politik, Kultur und Literatur realisiert. Seine Texte liegen in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern vor.

Website: http://blogs.taz.de/spurensuche

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