Kryonik - Menschen auf Eis

Feature von weekend

Dauer: 5:38 Minuten

Audio-Nr: #1409

Inhalt: Gebauter Beitrag über Kryonik (Kältekonservieren von Menschen) mit O-Tönen von Marcus Beyer, Vorstandsvorsitzendem der Deutschen Geselllschaft für Angewandte Biostase e.V.

Schlagworte: Kryonik,Zukunft,Einfrieren,Kältekonservieren,Biostase

Skript: Anfang über Science Fiction Wir schreiben das 23. Jahrhundert. Nebel wallt durch einen laborartigen Raum. Schemenhaft wird eine Gestalt sichtbar. Sie liegt auf einem OP-Tisch. Regungslos starren die weit geöffneten Augen an die Decke. Der ganze Körper ist übersät mit kleinen weißen Eiskristallen. Plötzlich eine Bewegung: Der Mensch hat geblinzelt. O-Ton Kommentar Science Fiction Also wenn man sich das so spontan anschaut, dann denkt man erstmal, wie soll dass denn funktionieren. Das war bei mir auch so. Also als ich 1995 zum ersten mal davon gelesen habe dachte ich, hey, interessante Idee, aber wie sollen diese Schäden wieder in Ordnung gebracht werden. Und da gab es diese Ideen: Nanotechnologie und Tissue-Ingeneering und das klang halt alles nach Science Fiction, weil das gab´s halt in der Realität nicht. Vorstellung Heute ist Marcus Beyer selbst Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angewandte Biostase e.V. Hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich eine Gruppe von knapp 40 Mitgliedern, die sich für Kältekonservierung von Menschen einsetzt. Einfrieren also. Biostase meint Verlangsamung oder sogar Anhalten des Stoffwechsels – und damit auch des Verfalls, denn natürlich geht es hier um tote Menschen. Passiert das mittels Kälte, spricht man von Kryonik. O-Ton: Konservierung hält Zeit tatsächlich an Man kann ausrechnen, etwa mit der Arenius-Gleichung, dass eine chemische Reaktion, die bei Zimmertemperatur etwa 1s benötigt, benötigt bei der Siedetemperatur von flüssigem Stickstoff, 196°C, 16 Mio Jahre. D.h. die Zeit steht praktisch still. Wie geht das? Die Körper sollen solange eingefroren werden, bis die Medizin so weit fortgeschritten ist, dass die Ursachen, die jeweils zum Tod geführt haben, kein Grund zum Sterben mehr sind. Ganz so einfach wie bei Tiefkühl-Spinat ist das Einfrieren von etwas so großem und komplexem wie dem menschlichen Körper aber nicht. Was bei Eizellen und Spermien schon funktioniert, weil sie so klein sind und quasi schockgefroren werden können, macht bei größeren Körpern Probleme. Denn weil nicht sofort überall die gleichen Minusgrade erreicht werden können, bilden sich Eiskristalle, die die Zellwände zerstören. Das versucht man teilweise dadurch zu vermeiden, dass das Blut gegen eine Flüssigkeit ausgetauscht wird, die beim Gefrieren eben keine Kristalle bildet. Anschließend wird der Körper dann in flüssigem Stickstoff bei den schon genannten -196° gelagert. Neben der Problematik beim Einfrieren gibt es aber noch ein ganz anderes Problem: O-Ton Auftauen Besonders bei ganzen Organismen, also bei einem Menschen, ist es so, dass wenn man den jetzt kryonisch behandelt, dass man den nicht wieder mit heutigen Methoden wieder beleben kann. Skepsis der Wissenschaftler Viele Wissenschaftler sind skeptisch, ob das überhaupt jemals funktionieren kann. Sich als Kryoniker zu outen sei für Beyer, der hauptberuflich Softwareentwickler ist, kein Problem. Im Wissenschaftsmileu sähe es anders aus: O-Ton Outing Ich hoffe, dass mein Nachfolger wieder ein Mediziner oder Kryobiologe wird, weil die meisten sich da nicht outen wollen, weil das – ja – unter Biologen nicht so anerkannt ist, sag ich mal. Es gilt halt als unrealistisch. In Deutschland Also doch noch irgendwie Science Fiction?! – zumal in Deutschland eine Kältebestattung derzeit noch nicht einmal gesetzlich erlaubt ist. Anders – natürlich – in den USA: O-Ton USA Ja, die USA haben sehr früh angefangen, Anfang der 70er Jahre sind die beiden großen Dienstleister entstanden, die es heute noch gibt und wo die meisten Menschen, ja, kryokonserviert liegen. Das sind Alcor Life Extension Foundation in Arizona und das zweite ist Kryonics Institute in Michigan. Genau, da liegen jeweils hundert Leute. Die Preise Die Preise für eine solche mögliche Life-Extension schwanken übrigens zwischen 30 und 200.000 US Dollar - ohne Erstversorgung und den Transport der Leiche in die USA, die auf deutsche Kryoniker außerdem zukommt. Finanziert wird das in der Regel mit Lebensversicherungen, auf die monatlich überschaubare Beträge überwiesen werden. Im Forum der Internetseite der Biostase-Gesellschaft findet sich dazu aber die interessante Frage, ob die Versicherungsgesellschaft nach einer Wiederbelebung nicht die Versicherungssumme, mit der die Kryonikbehandlung bezahlt wurde, zurückfordern könnte. Immerhin ist der Versicherte nicht tot – wenn auch nicht mehr… Es ist eben nicht so einfach, in die Zukunft zu schauen. Aber genau darin liegt der Reiz für Marcus Beyer: O-Ton Abenteuer Der eine Aspekt ist natürlich schon der Spaß an der Wissenschaft, quasi Rätselheft Deluxe. Nein, aber es ist schon so, dass ich helfen möchte, einen Rettungsdienst zu etablieren, den ich vermutlich auch einmal nutzen werde. Ja, das ist klar, das ist schon auch ein Abenteuer, also die Zukunft wird sicherlich ein großes Abenteuer, ja. Moderne Religion? Dass die Kryonik ein medizinischer ´Rettungsdienst´ ist und – trotz des Versprechens eines Lebens nach dem Tod – keine Wissenschaftsreligion, ist Beyer wichtig. O-Ton ´Rettungsdienst´ Worum es eigentlich geht, ist die Frage: Möchte ich den morgigen Tag erleben? Und: Möchte ich leben, auch wenn der ausnahmsweise mal zeitversetzt stattfindet? Das ist die Frage. Also wenn mir jetzt ein schlimmer Unfall passiert, möchte ich dann gerettet werden, darum geht es eigentlich. Also Lebensverlängerung und so die Frage, soll das Leben ewig währen, das pfft das kann man zu jeder Medizinmethode oder Rettungsmaßnahme diskutieren, aber ich glaube, das führt eigentlich am Thema vorbei. Schluss: Zukunft auf Eis Ob das am Thema vorbeiführt oder gerade den entscheidenden Punkt trifft, darüber lässt sich streiten. Die Antwort liegt wohl auf Eis und erst die Zukunft wird zeigen, ob die Methode der Kryonik überhaupt eine verrückte Spinnerei oder die visionäre Idee einer Gruppe von Vorreitern darstellt.
Upload Datum: 30.01.2011

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