Uwe Hasebrink

O-Ton (Gespräch) von Dokublog

Dauer: 7:41 Minuten

Audio-Nr: #2453

Inhalt: Uwe Hasebrink, Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg, fragt nach der Zukunft des Radios.

Schlagworte: Hans-Bredow-Institut,Hasebrink,Radio,Zukunft,digital,neue,Möglichkeiten

Ereignis Datum: 13.02.2014
Ereignis Ort: Hamburg
Skript: Ausgedient? Das Radio in der digitalen Welt Uwe Hasebrink Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg Jeden Tag lesen wir über Innovationen in der digitalen Kommunikation, Facebook, Twitter und YouTube bestimmen die Schlagzeilen, und es hat den Anschein, als würde sich die Art, wie wir kommunizieren, wie wir uns informieren und unterhalten, laufend grundlegend verändern. Was hat das mit dem Radio zu tun? Hat das Radio einen Platz in der sich abzeichnenden digitalen Welt des permanenten Online-Seins und des individuellen Abrufs von Medieninhalten aller Art zu genau dem Zeitpunkt, den wir selbst bestimmen? Was ein Medium ausmacht, welche gesellschaftlichen und kulturellen Funktionen es erfüllen kann, zeigt sich vor allem in dem Gebrauch, den die Menschen von ihm ma-chen, also in den Erwartungen, die sie ihm entgegenbringen, in der Art und Weise, wie sie es in ihren Alltag einbetten, und in den Erfahrungen, die sich aus dem Um-gang mit ihm ergeben. Fragen wir uns also, wie das Radio genutzt wird. Das Medium ist weiterhin fester Bestandteil unseres Alltags: An jedem Tag erreicht es durchschnittlich drei Viertel der Bevölkerung, mehr als drei Stunden pro Tag hö-ren die Menschen in Deutschland durchschnittlich Radio. Warum tun sie das? Fragt man konkret nach, welche der verschiedenen Medien denn für konkrete Programminhalte und Funktionen besonders geschätzt werden, schnei-det das Radio nicht gut ab. Sowohl für Information als auch für Unterhaltung erzielt das Fernsehen weitaus höhere Zustimmung, und bei den Jüngeren hat auch das Inter-net in dieser Hinsicht das Radio bereits überholt. Relativ hohe Werte weist das Radio am ehesten bei emotionalen und stimmungsbezogenen Funktionen auf. Das Medium hat also offenbar noch etwas Anderes zu bieten, das sich schwer an konkreten Inhalten festmachen lässt. Es handelt sich um die Funktion des Radios als Begleitmedium über den Tag, manchmal ist auch etwas abschätzig klingend vom Nebenbeimedium die Rede. In der Tat, bei keinem anderen Medium wird die Nut-zung so häufig mit anderen Aktivitäten kombiniert: Radio wird beim Essen, beim Autofahren und bei der Arbeit gehört, seltener als andere Medien hingegen in der Freizeit. Bereits in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als das Radio noch in den Kinderschuhen steckte, hat der Kulturwissenschaftler Rudolf Arnheim weitsich-tig gesagt: „Der Rundfunk ist Dauergast, und mit einem solchen macht man bekannt-lich keine Umstände. Das Leben geht weiter, als wäre er gar nicht da.“ (Arnheim 1936/1979, zitiert nach Teichert 1991: 280). Dieses Zitat trifft die gegenwärtige Situation: Das Radio ist einfach da, es ist fest etablierter und selbstverständlicher Bestandteil unserer alltäglichen Gewohnheiten. Der besondere Dienst, den das Medium zu unserer Alltagsgestaltung leistet, drängt sich nicht in den Vordergrund, er ist kein besonderer Anlass, auf den wir uns freuen – es würde uns nur schmerzlich bewusst, wenn er plötzlich nicht mehr zur Verfügung stünde. Die Rezeptur für die Radioprogramme, die diese Dienstleistung sichern, be-inhaltet vor allem regelmäßige Nachrichten und Servicemeldungen sowie viel Musik; dabei hat die Tatsache, dass sich bei den Musikvorlieben bekanntlich die Geister scheiden, zu der Ausdifferenzierung verschiedener Musikformate geführt, wie wir sie seit Jahren überall beobachten können. Die Rezeptur aus Nachrichten, Service und Musik charakterisiert die Hauptfunktion des Radios: Es soll, durch die Musik, eine stimmungsbezogene Grundierung des Alltags und gleichzeitig – durch die Nachrich-ten mit Wetter- und Verkehrshinweisen – einen Anschluss an die Welt liefern und damit als eine Art „Frühwarnsystem“ in der Beobachtung der Welt dienen (Hickethier 1992: 6). An dieser Stelle ist aber noch von einer anderen Form des Radiohörens zu sprechen, das der bisher beschriebenen Begleitfunktion diametral entgegensteht. Radio kann auch zum Zuhören und für besondere Hörerlebnisse genutzt werden, deren Intensität die Möglichkeiten des audiovisuellen Fernsehens durchaus übertreffen kann. Dies mögen besondere Musikprogramme zum Hinhören oder aber Hörspiele, Lesungen, Diskussionssendungen oder Features sein. In quantitativer Hinsicht sind diese Hörsi-tuationen – wie auch die Programme, die diese ermöglichen – deutlich seltener, daher führen sie in der öffentlichen Diskussion meist eine Art Schattendasein. Sie erklären aber mit, dass es viele Menschen gibt, die sich dem Medium auf eine besondere Wei-se emotional verbunden fühlen – eben weil sie sich an solche intensiven Hörererleb-nisse erinnern. Sie erklären auch, dass es gerade im Zusammenhang mit den ambitio-nierten Kulturprogrammen immer wieder überaus engagierte Initiativen von Hörerin-nen und Hörern gibt, die sich gegen Programmreformen wenden, die aus ihrer Sicht diese besonderen Programmereignisse gefährden. Kann das Radio nun davon ausgehen, die beschriebenen Funktionen auch künftig zu bedienen? Gibt es nicht mittlerweile viel interessantere mediale Alternativen, die das Medium überflüssig machen? Diese Fragen erfordern angesichts der vielfältigen technischen und angebotsbezoge-nen Veränderungen eine Klärung, was wir künftig unter Radio und Radionutzung verstehen wollen. Bisher war die Verständigung darüber, was Radionutzung ist, noch vergleichsweise einfach, denn wir konnten uns an zwei Kriterien orientieren: Erstens war die Tätigkeit mit einem Kontakt mit einem Radiogerät verbunden – und es gab keinen Zweifel, was mit einem Radiogerät gemeint ist, auch wenn dies schon seit längerer Zeit sehr verschiedene Formen annehmen konnte, etwa als Bestandteil einer Stereoanlage, als Transistorradio, als Autoradio, als Radiowecker oder als Walkman. Zweitens bezog sich die Nutzung auf ein öffentlich verbreitetes lineares, also vom Anbieter in einer bestimmten zeitlichen Abfolge angeordnetes Programm. Diese ge-räte- und programmbezogene Definition von Radionutzung hat ausgedient: Heute kann mit den verschiedensten multifunktionalen Geräten unter anderem auch Radio gehört werden, und mit Radiogeräten können auch andere Dienste als klassisches Radio gehört werden. Zum Teil wird auch das Programmkriterium aufgehoben, in-dem einzelne Bestandteile des Angebots individualisiert abgerufen oder zeitversetzt gehört werden können. Ist das dann noch Radio? Die Antwort darauf ist, dass dies künftig letztlich nur die Radiohörerinnen und hörer sagen können. Und diese werden sich daran orientieren, ob die wesentlichen Funktionen, die sie vom Radio erwarten, erfüllt sind: Eine verlässliche, den Tagesablauf strukturierende stimmungsbezogene Grundierung des Alltags bei gleichzeitiger Anbindung an die Welt. Diese kann nicht ohne weiteres von anderen Medien- und Kommunikationsdiensten erfüllt werden. Wann immer neue Audio-dienste auf den Markt kommen, werden die besonderen „Vorteile“ gegenüber dem Radio herausgestellt – etwa, dass die Hörerinnen und Hörer nicht mehr von vorgegebenen Programmstrukturen abhängig sind oder dass sie jederzeit genau das hören können, was sie wollen. Diese Optionen stellen ohne Zweifel wichtige Errungenschaften dar, die neue Optionen für die Nutzung von Audioangeboten eröffnen. Diese Neuerungen stellen aber nicht unbedingt Vorteile gegenüber dem Radio dar – sie können auch als Nachteile angesehen werden, denn es ist ja gerade die Leistung des Radios, dass es den Alltag strukturiert und ein Angebot verfügbar macht, das der Synchronisierung mit der Gesellschaft dienen kann; gerade das Bewusstsein, gleichzeitig mit Anderen ein bestimmtes Programm zu hören, ermöglicht es, sich als Mitglied einer Öffentlichkeit zu fühlen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die in diesem Sinne spezifischen Leistungen des Radios künftig substanziell an Bedeutung verlieren werden. Aber angesichts der ver-änderten Rahmenbedingungen werden die Veranstalter neue Strategien entwickeln müssen, um diese Funktionen weiter erfüllen zu können. Das Radio befindet sich in einem eng vernetzten multimedialen Umfeld, ihre Hörerinnen und Hörer haben lau-fend zahlreiche andere Optionen zur Erfüllung kommunikativer Bedürfnisse, auf die das Radio Bezug nehmen muss: Es muss sich mit den neuen Optionen verknüpfen, um weiterhin seine bewährten Funktionen erfüllen zu können. Literatur: Arnheim, Rudolf (1979): Rundfunk als Hörkunst. München: Hanser (deutsche Fas-sung einer englischsprachigen Publikation unter dem Titel „Radio“ von 1936). Hasebrink, Uwe; Müller, Norman (2012): Nutzung. In: Kleinsteuber, Hans J. (Hrsg.): Radio. Eine Einführung. Wiesbaden: VS, S. 209-234. Teichert, Will (1991): Hörerbedürfnisse. In: Arnold, Bernd-Peter; Quandt, Siegfried (Hrsg.): Radio heute. Die neuen Trends im Hörfunkjournalismus. Frank-furt/Main: Institut für Medienentwicklung und Kommunikation, S. 275-283.
Gesendet in SWR2: 16.02.2014
Upload Datum: 13.02.2014

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