Die Türkei ist ein Radioland – wer hätte das gedacht! Es gab am Bosporus schon einmal mehr als 1500 Radiosender, auch wenn das schon 20 Jahre her ist. Aber selbst heute sind es noch mehr als 1.000 - allein in Istanbul weit über 100. In ganz Deutschland kann man gerade mal 410 empfangen. Und es gibt in der Türkei viele Stationen, die man sich an Rhein und Ruhr nur schwer vorstellen kann. So hatte z.B. der Generalstab der türkischen Armee vor einigen Jahren angekündigt, er werde jetzt einen eigenen Radiosender betreiben – aber auf Sendung gingen die Soldaten dann doch nicht. Die Polizei aber schon. Ja, es gibt das „Polizeiradio“, 24 Stunden am Tag, landesweit. Es ist nach dem staatlichen Rundfunk TRT die älteste Radiostation der Türkei. Seit 1952 ist sie auf Sendung – und ist auch heute auf jeder App für türkische Radiostationen zu finden (Polis Radyosu).
Und das ist bei weitem nicht das einzig Erstaunliche. Das Polizeiradio war auch einmal der Radiokanal mit den meisten Zuhörern – und warum? Weil nur im Polizeiradio „verbotene Lieder“ zu hören waren. Bis weit in 80iger Jahre musste jedes Lied, das im Radio gespielt wurde, zuvor von einem staatlichen Kontrollgremium freigegeben werden. Arabeske Musik, also Musik mit Anklängen an die arabische Kultur, Lieder die mit Musikinstrumenten aus dem arabischen Kulturkreis gespielt wurden, waren verboten. Erlaubt war nur „Türkisches“, von Klassik bis zum türkischen Schlager. Doch gerade die arabeske Musik war besonders beliebt. So erteilte das Kontrollgremium manchmal für besondere Sendungen zu Silvester zum Beispiel eine „Ausnahme".
Einzig das Polizeiradio hielt sich nicht an das Verbot – und konnte sich das leisten. Gegen die Polizei traute sich damals nicht einmal eine staatliche Kontrollkommission vorzugehen. Wem das alles nicht logisch vorkommt und wer fragt, wie so was denn möglich ist, bekommt zur Antwort: Was willst du denn!? Wir sind hier in der Türkei! So sind die meisten in der Türkei mit dem Polizeiradio groß geworden – jeder kennt es – und heute?
So wie sich die Radiolandschaft am Bosporus verändert hat, so hat sich auch das Polizeiradio geändert. Mehr als die Hälfte der 1000 türkischen Radiosender sind sog. Musiksender. Die haben jetzt die meisten Zuhörer. Dort dudelt stundenlang türkische Popmusik, ein Titel nach dem anderen, oft ohne Moderator –und wer nach Gema-Gebühren fragt, schaut meist in vollkommen verständnislose Gesichter. Das Polizeiradio gilt immer noch als Nachrichtenradio – aber es hat sich angepasst. Jetzt hört man auch im Polizeiradio stundenlang türkische Popmusik. Auch hier „stört“ kein Moderator, wie bei den aberhundert regionalen oder örtlichen Privatsendern. Dort wird die Musik immer wieder von Werbung unterbrochen. Im Polizeiradio gibt es dafür etwa alle 30 Minuten eine kurze Durchsage: „ Bitte nehmen Sie während der Fahrt im Auto keine Telefongespräche entgegen!“ „ Halten Sie ihre Taschen geschlossen, damit Diebe kein leichtes Spiel haben!“ „Im Krankenhaus von Ankara wird dringend ein Spender mit der Blutgruppe A negativ gesucht!“. Dann dudelt wieder der türkische Musikantenstadl.
Nachrichten im sog. „Nachrichtensender - Polizeiradio“ gibt es mittlerweile nur alle zwei bis drei Stunden. Meist dauern die nicht einmal 5 Minuten. Ab und an werden regierungsamtliche Dekrete verlesen, oder wo ab wann eine Ausgangssperre gilt. Dann berichtet ein Reporter von einer Polizeiaktion gegen die PKK – im Hintergrund ist Maschinengewehrfeuer unterlegt. Ein anderer erzählt, wie die Armee im Norden Syriens die Kämpfer des sog IS einkreist – und wie die Grenzsicherungsanlagen verstärkt werden: „ Eine Betonmauer, so hoch !und so dick ! aber mit einem Durchlass in regelmäßigen Abständen, durch die auch ein Panzer kommt“. Wenn man heute fragt: Kennst du das Polizeiradio? - hört man: „Ja, das Polizeiradio! Damals haben die sogar verbotene Lieder gespielt. Heute hört das nicht einmal jeder Polizist.“ Wen wundert’s.