Sprecher eins. Sprecher zwei. Zitator. Das ist Feature. Dachte ich. Als ich 1989 mein erstes machte. Naja, was heißt machen? Ich schrieb einen Text. Einen Text, der so lang war, dass ich zwei Floppy-Disketten brauchte, um ihn zu speichern. Feature. Unglaublich. Ich hatte es geschafft. Vom Beitrag-mit-O-Ton-Lieferant in die Königsdisziplin des Radios. Völlig klar, dass ein Monarch nicht rausgeht, um O-Töne aufzunehmen. Er thront am Scheibtisch und ist der Souverän eines Textes. Herrsche und teile. Den Text auf. Sprecher eins, Sprecher zwei. Zitator. Das Stück war übrigens nichts weniger als eine Kulturgeschichte des Spaziengehens. - Ja, schön, sagte der kritische und kluge, aber auch großherzige Redakteur, der hier genannt sein muss: Lothar Fend. Ja, schön, sagte der, aber mach doch vielleicht mal was mit O-Ton. O-Ton? Also doch? Nagut. Und ich machte mich an die nächste Kulturgeschichte. Miniatur- und Modellwelten – von der Weihnachtskrippe bis Legoland. Machen stimmte da schon eher. Ich machte nicht nur Aufnahmen und Interviews. Ich machte mir auch Gedanken, was daraus werden soll. Zwei eng beschriebene Seiten fügte ich dem eigentlichen Skript hinzu – mit Ideen zur Umsetzung: Musikeinsätze, Pausen, Blenden, Sprecherhaltungen, Raumakustik der Studioaufnahmen. Damit der Regisseur genau wusste, was er tun muss. Mir war nicht klar, dass Regisseure sich das selbst ausdenken. Und dass Vorgaben für sie nur bedeuten, genau das dann schon mal nicht zu tun. Vor allem sah der Regisseur nicht ein, warum mein – ja, doch auch unter heutigen Maßstäben - eigentlich ganz witziger Text trocken und lakonisch gesprochen werden sollte und engagierte einen boulevardtheaterbekannten Rampenscherzexekutor und gab ihm die Anweisung, jedes Wort – jedes! – im Hoho-Hihi-und Zwinkerzwinker-Ton zu spaßifizieren. Nur einen Vorschlag von mir übernahm der Regisseur: ein einminütiges Stück Musik auf zwei Minuten zu verdoppeln, damit es unter eine längere Textpassage passt. Er hätte die beiden Minuten einfach zusammenkleben können. Aber er entschied sich dafür, aus der Minute eine Endlosschleife zu machen. Schleife denn es waren damals Bänder. Bänder, die mit 38 Zentimetern pro Sekunde am Tonkopf der Bandmaschine vorbeiliefen. Weshalb ein Band von einer Minute 60 mal 38 gleich 2280 Zentimeter gleich knapp 23 Meter lang war. Diese 23-Meter-Schleife ließ der Regisseur über diverse Rollen auf diversen Ständern vom Regieraum in den Regievorraum in den Flur bis zum Treppenhaus und wieder zurück laufen – wie ein Seilbahnkabel. Und wie ein Seilbahnkabel hing das Band durch. Die Musik leierte. Wie nur etwas leiern konnte. Aber hier definitiv nicht sollte. Es war Musik der Einstürzenden Neubauten. Es klappt, rief der Regisseur, so machen wir das. – Es gibt großartige Regisseure. Und großartige Regisseurinnen. Später lernte ich einige kennen. Aber damals dachte ich, diese Leute muss ich loswerden. Kann ich nicht beim nächsten Mal selbst die Regie machen? fragte ich. Hm, naja, naja. O-Ton, Musik, Geräusche, vielleicht. Aber Du weißt doch gar nicht, wie man mit Sprechern, mit Schauspielern arbeitet. Okay, da war vielleicht was dran. Und wenn gar keine Schauspieler vorkommen. Aber Du brauchst doch wenigstens einen Erzähler, eine Stimme, die das alles irgendwie zusammenhält. Okay, aber wenn diese Stimme meine wäre ... Ja, aber Du kannst ja nicht schauspielen. Na, dann bin ich halt immer ich. Also nicht wirklich ich, sondern ich wie ich im Radio bin. Denn im Radio ist ja nichts, wie es wirklich ist, sondern immer nur, wie es aus dem Radio kommt. Dass es Leute gibt, die ernsthaft glauben, Radio oder Podcast oder Audio-egal-wie sei authentisch oder sogar wahrhaftig, war mir damals ein Rätsel und wird mir immer ein Rätsel bleiben. Ich bin mit Radio Luxemburg großgeworden. Das lief zuhause ganzen Tag. Und es war den ganzen Tag Theater. Die Moderatoren trugen nicht einmal ihre wirklichen Namen. Radio Luxemburg war noch kein Formatradio, aber es machte mir klar: im Radio wird die Welt formatiert. Damit sie in Programme passt. Vor der Schule der fröhliche Wecker mit Rolf, der eigentlich Wilfried hieß. Nach der Schule „Nachsitzen mit Oliver“, der eigentlich Mark hieß. Und Samstag die Hitparade mit Frank, der eigentlich Timm hieß. Timm Elstner. Und im öffentlich-rechtlichen, von dessen Existenz ich erst ziemlich spät erfuhr, da gab es noch mehr Programme, viel mehr: Unterhaltung, Bildung, Quiz, Kultur, Politk und Pop, Religion und Volksmusik, Und in allen Programmen Sendungen. Alle Sendungen in definierten Formen. Und jede Form eine Art Kleinfürstentum mit engen Grenzen. Radio waren die Vereinigten Tümer der Lummerländer. Und wenn Feature die Königsdisziplin war und sich der König nimmt, was des Königs ist - dann waren logisch all diese Formen und Formate ein Selbstbedienungsladen. Und ich nahm mir, was ich brauchte: hier ein bisschen Nachrichten-Ton, da Popmusik, hier ein Interview, am Stück oder in Scheiben, da eine Mitmachsendung, hier etwas Reise-Reportage, Werbung sowieso und immer sehr gern das Hörspiel. Mein drittes Feature drehte sich um Katzenfutter. Im Grunde klassisches Feuilleton – vom Kleinen aus das Große sehen. Die ganze Welt in einer Nussschale bzw. diesmal in einem Freßnapf. Und das nicht als Text, sondern als Radio, als Audio. In seiner ganz eigenen Wirklichkeit. Im Grunde war es das. Und ist es immer noch. Wie denn sonst?