Wichtiger denn je
Die Bedeutung der Öffentlich-Rechtlichen für die Meinungsbildung
von Tabea Rößner
Es ist geradezu in Mode gekommen, auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzudreschen. Gerne wird dabei vom Staatsfunk gesprochen oder von Lügenpresse - letzteren Begriff verwendeten schon die Nationalsozialisten, um Journalisten zu diskreditieren und gegen Kritiker vorzugehen. Ähnliches erleben wir heute wieder: Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird unterstellt, er würde vom Bundeskanzleramt gesteuert. Journalisten werden angefeindet, bei ihrer Arbeit behindert oder sogar tätlich angegriffen. Initiativen rufen dazu auf, den Rundfunkbeitrag zu boykottieren, und eigentlich wäre es einigen Kreisen am liebsten, man würde die Sender gleich ganz abschaffen. Selbst in Fachkreisen gibt es Kritiker, die ein öffentliches Programm nicht mehr als notwendig erachten. Die Fülle der Angebote im Internet ist in ihren Augen so groß wie nie, der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle doch - wenn überhaupt - nur noch Nischen abdecken. Und auch diejenigen, die in der Medienpolitik die Grundlage für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tragen, die Chefs der Länder, haben es versäumt, den Wert dieser Institution immer wieder herauszustellen. Medienpolitik wird vorwiegend in den Hinterzimmern der Staatskanzleien gemacht. Die Medienpolitiker der Länder halten es aber leider nicht für nötig, rauszugehen und in der Gesellschaft für das öffentlich-rechtliche System zu werben und - wenn es sein muss - auch zu kämpfen. Dabei geht es richtig um was: Denn das öffentlich-rechtliche Angebot ist zentral für die Meinungsvielfalt und unsere Demokratie. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein öffentlich-rechtliches Angebot in unserer digitalen Welt notwendiger ist denn je. Andere Länder beneiden uns um ARD, ZDF und Deutschlandfunk, die von der Allgemeinheit und damit unabhängig finanziert werden und hohen journalistischen Standards ganz besonders verpflichtet sind. Der Auftrag muss aber angesichts des sich radikal wandelnden Informationsverhaltens überprüft und zukunftstauglich gemacht werden. Eine konstruktive Debatte darüber ist seit Jahren überfällig. Nur wenn wir breit darüber diskutieren, welchen Wert unabhängige und der Wahrheit verpflichtete öffentlich-rechtliche Medien für die Gesellschaft haben und wie diese ausgestaltet sein müssen, damit sie in der digitalen Welt ihren Auftrag erfüllen können, nur dann erobert sich vielleicht auch die Gesellschaft ihren Öffentlich-Rechtlichen wieder zurück. Um sich dieses Wertes zu vergewissern, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Nach 1945 hatten die Begründer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das Ziel, demokratische Strukturen zu sichern und den Missbrauch durch autokratische Regime zu verhindern. Denn mit der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten war der Rundfunk genau zu dem geworden, was es dringend zu verhindern galt: einem Staatsfunk, der als Massenmedium durch das Hitler-Regime zu Propagandazwecken missbraucht wurde. Nun sollten Informationsvermittlung und ein gesellschaftlich-demokratischer Meinungsbildungsprozess fern von Staat und Markt gewährleistet werden. Nach dem Vorbild der britischen BBC wurde nun ein dezentrales, föderales öffentlich-rechtliches Rundfunksystem entwickelt und durch die Gesellschaft finanziert, um Unabhängigkeit und Staatsferne zu sichern. Mit dem Aufkommen des privaten Rundfunks in den 1980er Jahren sollen ARD und ZDF die Grundversorgung für eine unabhängige Meinungsbildung gewährleisten. Nur wenn sie ihren Auftrag erfüllten, seien Vielfaltsdefizite bei den Privaten, die sich weitgehend über Werbung finanzieren, hinnehmbar, so das Bundesverfassungsgericht. Heute erleben wir einen viel radikaleren Wandel der gesellschaftlichen Kommunikation. Das Internet hat den Raum für den gesellschaftlichen Diskurs weiter geöffnet. Wir haben fast unbegrenzten Zugang zu verschiedensten Informations- und Kommunikationsräumen. Die Frage ist aber: Wo finden welche Debatten statt, und bekomme ich die mit? Wo finde ich welche Angebote und was bekomme ich angezeigt? Was taucht in meiner Timeline überhaupt auf? Und wer entscheidet eigentlich, was ich sehe? Eine unendliche Zahl an Foren, Plattformen und Angeboten lassen sogenannte fragmentierte Öffentlichkeiten im Netz entstehen: Filterblasen oder "Echokammern", die zwar vordergründig Orientierung in den unendlichen Weiten des Internets bieten, aber eben auch verhindern, dass man über den eigenen Tellerrand schaut. Sie bestätigen vor allem die eigene Sichtweise. Diese Selbstreferenzialität wie auch die zunehmende Komplexität der Aufgabe, Informationen selbst sondieren, einordnen oder überprüfen zu müssen, haben sicher einen Anteil daran, dass gezielte Desinformation durch "Fake-News"-Kampagnen fruchten können. Es stellt sich daher die Frage, wie eine vor Missbrauch und Manipulation geschützte unabhängige Willensbildung auch im Netz ermöglicht wird. Dafür braucht es einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn seine Aufgabe, ein verlässliches und qualitativ hochwertiges Programm für alle anzubieten, hat sich nicht erübrigt. Im Gegenteil: Sie gewinnt an Bedeutung. Natürlich gibt es auch gute private Angebote. Diese sind aber Marktprinzipien ausgesetzt. Und bei zum Teil erheblichen Schwierigkeiten, Finanzierungsmodelle zu entwickeln, werden oft genug journalistische Standards heruntergeschraubt. Wie also muss ein öffentlich-rechtliches Angebot aussehen, um seiner Aufgabe auch zukünftig nachkommen zu können? Statt über die Höhe des Haushaltsbeitrags zu diskutieren - was leider vornehmlich passiert, bedarf es zunächst einer grundsätzlichen Überprüfung des Auftrags. Danach richtet sich alles andere, auch die Finanzierung. Denn: Der Beitrag folgt dem Auftrag und nicht umgekehrt. Und die Sendeanstalten dürfen angesichts der gravierenden strukturellen Veränderungen auch harte Reformen nicht scheuen. Diese sind definitiv notwendig. Zuallererst müssen wir uns fragen: Wo und wie findet der Meinungsbildungsprozess statt, wie wird öffentliche Willensbildung zukünftig erfolgen und welche Aufgaben muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk übernehmen? Auch wenn die meisten Menschen immer noch fernsehen, nimmt die lineare Nutzung stetig ab. Vor allem junge Leute informieren sich fast ausschließlich im Internet. Dort finden sie auch viele öffentlich-rechtliche Angebote, die sie aber auf Drittplattformen wie Youtube nicht als solche wahrnehmen. Ein öffentlich-rechtliches Angebot muss jedoch als "Marke", die für Qualität, gute Recherche und Wahrhaftigkeit steht, erkennbar sein. Dabei müssen öffentlich-rechtliche Angebote den intransparenten Selektionsprozessen von Plattformen wie Facebook und Youtube entgegenwirken und dürfen den Weg der Individualisierung und Verspartung nicht noch verstärken. Es gehört zu ihrer originären Aufgabe, gesellschaftliche Debatten zu befördern und das gesamte Meinungsspektrum abzubilden. Dabei geht es nicht allein darum, unterschiedliche Perspektiven auf Themen aufzuzeigen und kritisch zu hinterfragen, sondern auch um Berichterstattung über Themen jenseits des Mainstreams und der meisten Klicks. In Zeiten von gezielten Desinformationskampagnen müssen die öffentlich-rechtlichen Medien gerade auch im Netz Einordnung und Orientierung geben, Behauptungen überprüfen und Verstrickungen transparent machen. Die Gewährleistung eines vielfältigen Meinungsbildes im Rahmen eines gemeinsamen Kommunikationsraums muss daher auch zukünftig Schwerpunkt des zukünftigen Auftrages sein. So kann umfassende Öffentlichkeit wieder entstehen. Dafür ist eine öffentlich-rechtliche Plattform notwendig. Inhalte dürften nicht mehr einfach auf Drittplattformen verbreitet werden – wovon vor allem die großen Internetkonzerne profitieren, sondern allenfalls, um die Nutzer auf die eigene Plattform zu leiten. Man könnte dieses Angebot als eine Art "Public open space" zu einer öffentlichen Wissens- und Bildungsplattform machen. In jedem Fall müssen die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet freier agieren und netzgerechte Formate für den Online-Sektor entwickeln können. Die Willensbildung ist partizipativer und direkter geworden. Die öffentlich-rechtlichen Medien sollten sich dem stärker öffnen – und das benötigt Ressourcen. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie die Zuschauer stärker einbezogen werden können. In Schweden beispielsweise macht eine Sendung die Zuschauer zu Detektiven, die Informationen selbst überprüfen und deren Erkenntnisse zusammenfließen. Solche Angebote, die der Netzlogik entsprechen, müssen entwickelt werden. Dafür muss die Medienpolitik die Voraussetzungen schaffen. Und zwar besser heute als morgen. Leider ist dies nicht in Sicht. Bei der Beilegung des langjährigen und erbitterten Streits zwischen den Zeitungsverlegern und den öffentlich-rechtlichen Sendern über die "Tagesschau"-App und die Frage, wie viel Text die öffentlich-rechtlichen Angebote beinhalten dürfen, wurde den Anstalten ein enges Korsett auferlegt und ihnen die Verbreitung von überwiegend Bewegtbild ins Aufgabenheft geschrieben. Dies beschränkt meines Erachtens das öffentlich-rechtliche Angebot über Gebühr – und ist zudem nicht verfassungskonform. Denn die Festlegung auf Bewegtbild-Formate widerspricht dem Grundgedanken der Programmautonomie, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verfassungsrechtlich zugesichert wurde. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen selbst entscheiden dürfen, in welcher Form sie dem Grundversorgungsgedanken entsprechen. Zudem schränkt die überwiegende Festlegung auf Bewegtbild Auffindbarkeit und Barrierefreiheit ein. Statt sich das Leben gegenseitig schwer zu machen, sollten die öffentlich-rechtlichen und die privaten Medienhäuser aufeinander zugehen und im Diskurs die richtigen Strategien für die veränderte Medienöffentlichkeit entwickeln. Bei einigen Projekten funktionieren Kooperationen wie beispielsweise bei Recherchenetzwerken, die Kompetenzen bündeln und investigativ arbeiten. Ein konstruktives Miteinander ist also möglich. Die Bemühungen der Länderrundfunkkommission um „Struktur und Auftrag“ der Anstalten haben bislang keine Ideen für eine durchgreifende Reform erkennen lassen, die die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern könnte. Die jetzt angedachte Flexibilisierung des Auftrags bei gleichzeitiger Indexierung des Beitrags ist für die Anstalten ein zweischneidiges Schwert. Vordergründig verspricht dieser Gedanke mehr Autonomie und Planbarkeit der Finanzen, in Wirklichkeit wird den Anstalten so parlamentarische Legitimation entzogen. Das ist sicherlich nicht der richtige Weg. Weder die Länderrundfunkkommission noch die Anstalten – gefangen in kurzfristigen und Standortinteressen – lassen den großen Wurf für die Sicherung der Zukunftsfestigkeit und -fähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erwarten. Es braucht daher eine Lösung von außen: eine unabhängige Expertenkommission, die ein zukunftsweisendes Konzept für ein öffentlich-rechtliches Angebot erarbeitet. Sie muss den Auftrag hinsichtlich der Aufgaben in einer durch Desinformation, Missbrauch und Manipulation gefährdeten digitalen Welt neu bewerten und Vorschläge für strukturelle Veränderungen machen. Soziologen, Medienwissenschaftler und Medienrechtler können am ehesten die Fragen beantworten, welche Leistung der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einer netzbasierten Welt erbringen muss, und auch, welche Altangebote verzichtbar sind. Darin sehe ich im Moment die einzige Möglichkeit, die verfahrene Situation aufzulösen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk endlich einen zeitgemäßen Auftrag zu erteilen. Die Arbeit einer solchen Kommission muss aber rückgekoppelt sein an eine breite gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für unsere Demokratie und wie er sich weiterentwickeln muss. Denn die an sie gestellten hohen Ansprüche können die Medienhäuser nur erfüllen, wenn die Gesellschaft diese auch formuliert. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle dann auch wieder uneingeschränkt „Ja“ sagen zu unserem Öffentlich-Rechtlichen.