Migranten im Kulturradio. Von Bilkay Öney: Interesse von Migranten am Radio steigt Für die Sender ist das Chance und Aufgabe zugleich Ob in Museen oder in den Redaktionen – wenn es ans Sparen geht, müssen die Kulturschaffenden meist zuerst zittern. Kultur gilt oft als Luxusgut. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass der Wunsch nach kultureller Unterhaltung und Identität uralt ist. Schon vor 40 000 Jahren gehörte sie für unsere Vorgänger offenbar so selbstverständlich zum alltäglichen Leben wie Feuer, Fell und Beerentuch. Das zeigen Funde in der Geißenklösterle-Höhle am Rande der Schwäbischen Alb. Die dort entdeckte Flöte gilt als erstes Musikinstrument der Menschheit. Vor allem zeigt der Fund: Kultur ist kein Luxus, sondern scheint den modernen Menschen überhaupt erst auszumachen. Musik macht gute Laune, weckt Jugenderinnerungen und ist für manche auch ein Stück Heimat. Aber sie kann noch viel mehr. Musik verbindet Menschen über Sprachen und Kulturen hinweg - auch dort, wo die Kommunikation schwierig ist. Ein Beispiel dafür ist das vom Stardirigenten Daniel Barenboim ins Leben gerufene West-Eastern Divan Orchestra, in dem unter anderem Israelis mit Palästinensern, Syrern, Libanesen oder Iranern gemeinsam auf der Bühne stehen. Kultur kann zum Nachdenken anregen und informieren, ohne gleich mit der moralischen Keule daherzukommen, die bei der Politik oft mitschwingt. Kultur trägt jedoch nicht nur zur interkulturellen Verständigung bei, sondern ist auch für die Integration hierzulande ein sehr wertvolles Tool. Das ist der Sport zwar auch, aber nicht jeder mag Fußball. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, ist es wichtig, dass Integrationspolitik die Menschen auf unterschiedliche Weise anspricht. Nicht nur über den Sport oder die Kultur, sondern sowohl als auch. Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel für den Integrationsbeitrag von Kultur ist das von dem britischen Dirigenten Simon Rattle angestoßene Integrationsprojekt, bei dem 250 benachteiligte Jugendliche aus 25 Nationen zur Musik der Berliner Philharmoniker tanzten. Der Film über das Projekt „Rhythm is it!“ wurde sogar mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Gerade im Kulturbereich zeigt sich, dass Einflüsse von außen eine große Bereicherung sein können, aus denen wieder etwas ganz Neues hervorgehen kann. Etwa wie bei DJ Shantel, der mit seinem Balkan Pop – einer Mischung aus südosteuropäischen Klängen und westlicher Dance-Musik – die Hallen füllt. Wie bereichernd kulturelle Vielfalt ist, zeigt auch das Stuttgarter Orchester der Kulturen, in dem für ein Symphonieorchester völlig unterschiedlichen Instrumente von der vietnamesischen Maultrommel bis zum Digeridoo zum Einsatz kommen. Die Idee kam Adrian Werum, dem Dirigenten der Musicals Mama Mia und Tanz der Vampire, angeblich beim Spaziergang durch sein Wohnviertel, dem Rosensteinviertel, in dem viele Migranten wohnen. Vielfalt ist also durchaus inspirierend. Egal ob durch Sport oder Kultur – für eine erfolgreiche Integrationspolitik, die die Menschen auch jenseits der Politik erreichen soll, sind Massenmedien wie Fernsehen und Radio unerlässlich. Umgekehrt sind die Migranten für Radio und Fernsehen gerade wegen der Konkurrenz durchs Internet eine immer wichtiger werdende Zielgruppe. Immerhin leben in Deutschland insgesamt fast 16 Millionen Menschen mit einer Zuwanderungsbiographie. Das sind sehr viele potenzielle Hörer. Die ARD/ZDF Medienkommission hat daher 2011 bereits zum zweiten Mal eine bundesweite Befragung zur Mediennutzung von Migranten vorgenommen. Obwohl ein knappes Viertel immer noch nicht über zufriedenstellende Deutschkenntnisse verfügt, hat das Verstehen der deutschen Sprache in allen ethnischen Gruppen seit 2007 zugenommen. Bei den Jüngeren ist es mittlerweile auf einem sehr hohen Niveau, so dass diese Gruppe inzwischen überwiegend oder sogar ausschließlich deutsche Medien nutzt, um sich zu informieren. Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien und Polen haben dabei laut einer Studie des Bundesamts für Migration eine besonders große Affinität zu deutschsprachigen Medien. Türkischstämmige Migranten neigen dagegen am stärksten zu muttersprachlichen Medien. Obwohl laut der ARD-Studie die Reichweite von Radio und Internet bei den 14- bis 29-Jährigen Migranten noch immer deutlich geringer ist als bei der gleichaltrigen Gesamtbevölkerung, scheint das Interesse an Radio zu wachsen: Während das Interesse am Fernsehen bei dieser Gruppe sinkt, nimmt es beim Radio sogar leicht zu. Anders als die Gesamtbevölkerung nutzten die 30- bis 39-jährigen Migranten das Radio am stärksten. Das Radio hat also auch im Internetzeitalter durchaus noch Potenzial, das sich auch Kultursender zu Nutze machen könnten. Aber wenn Kulturradio interessant und up to date sein will, muss es sich sowohl bei den Wort-Beiträgen als auch der Musik diesen Hörern stärker öffnen. Kultur ist nicht nur Klassik, sondern eben auch Hip-Hop, Pop und Jugend- und internationale Kultur. Bislang ist unklar, ob die zunehmende Nutzung deutschsprachiger Medien die Integration begünstigt, oder Ausdruck einer besseren Integration ist. Fest steht: Es gibt seitens der Menschen mit Migrationshintergrund einen steigenden Bedarf deutschsprachiger Informations- und Unterhaltungsangebote. Für die Rundfunkanstalten ist das eine Chance, die es nun auch zu nutzen gilt - auch im Kulturradio.