Autor 1 Vor genau 125 Jahre stellte Heinrich Hertz der Berliner Akademie der Wissenschaften seinen Forschungsbericht „Über elektrische Wellen“ vor. Darin wies er die Existenz elektromagnetischer Wellen nach und legt die theoretischen Grundlagen für das Radio. Heute, 125 Jahre später sind wir umgeben von einer Fülle elektromagnetischer Felder. Abgestrahlt von Haushaltsgeräten, Geldautomaten, Mobiltelefonen, Hochspannungsmasten, Verteilerkästen und auch von Radiosendern. Kubisch-Sound 2 Autor 2 In Karlsruhe, wo Hertz seine maßgeblichen Experimente mit Funkenstrecken beschrieb, von denen sich der Name Rundfunk ableitet, fand im Vorfeld der 10. ARD Hörspieltage ein international besetztes Symposium statt: “Choreography of Sound – Between Abstraction and Narration“. Mehr als vierzig Referenten und Diskussionsteilnehmer, Künstler, Radiomacher, Wissenschaftler und, ja, auch eine Choreographin, gingen im Zentrum für Kunst und Medientechnologie den Erscheinungsformen des Radios im öffentlichen Raum nach, hörten dem Akustischen als Material der bildenden Künste zu und machten die Ausweitung der Hörzone mit. Kubisch-Sound 3 Autor 3 Paradigmatisch für die Ausweitung der Hörzone ist das Werk der bildenden Künstlerin Christina Kubisch. Seit Ende der 70er Jahre realisierte sie Klanginstallationen, die mit elektromagnetischer Induktion arbeiteten. Was zunehmend schwieriger wurde und sie zu sogenannten „Electrical Walks“ inspirierte, bei der die Zuhörer mit speziellen Kopfhörern bewaffnet einen Stadtraum erkunden. Christina Kubisch: Kubisch 1 Bei der Serie der Electrical Walks, die ich 2003 in Tokio begonnen habe und zwar aus der Notwendigkeit heraus, dass meine früheren induktiven Arbeiten, also Arbeiten, wo ich auch magnetische Techniken benutzt habe nicht mehr richtig durchführen konnte, weil ich immer Störsignale hatte. Und diese Störsignal habe ich nicht wegbekommen und letztendlich habe ich bemerkt: wir sind von so vielen Signalen umgeben, dass ich sie auch gar nicht wegmachen kann, sondern damit leben muss. Kubisch-Sound 4 Autor 4 Im ZKM hörte die Künstlerin, von einer Videokamera begleitet, den Schaltraum der Hinterbühne ab, steckte ihren Kopf in die Schaltschränke, lauschte an den Kabeln, Bildschirmen und Computern. Kubisch 2 Es geht also um die Wahrnehmung von elektromagnetischen Feldern, die uns überall umgeben und die uns vielleicht auch immer mehr bewusst sind, vielleicht auch im Zeichen der ganzen Ausspähaffäre jetzt, wissen wir, dass wir zum Beispiel von ganz vielen digitalen Feldern umgeben sind. Meine Arbeit ist nicht über Elektrosmog, sie ist auch nicht über Schwarz/Weiß und Gut und Böse, sondern über das Erfahren selbst über das Hörbarmachen. Autor 5 Die Werke von Christina Kubisch sind immateriell – Werke, die „die dramatischen Spielerlebnisse völlig in Schall und Klang auflösen“, wie es der Radiotheoretiker Aloys Wilsmann schon in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhundert vom Hörspiel forderte. Mit dem Radio tritt die Kunst in eine neue Phase ein. Der Medientheoretiker und Vorstand des ZKM Peter Weibel: Weibel 1 Die klassischen Kunstwerke, das ist wichtig, waren nur Produktionsmedien. Die Künstler haben war produziert. Im Studio und für den Ort. Selten genug haben sie die Produktion von Einzelwerken vervielfältigt. Das sind dann die Multiples durch Drucktechniken. Radio hingegen ist das erste Medium der Distribution. Es hat gewissermaßen das Netz vorweggenommen. Das Radio kennt eigentlich keine Produkte. Zwischen Sender und Empfänger ereignet sich eine ephemere Kommunikation und wenn die nicht gespeichert wird, ist sie verloren. Das Radio ist also im Grunde ein Ereignis. Radiokunst ist eigentlich Ereigniskunst, also, wie sie schon angedeutet haben, ein performatives Medium. Das Radio ist also das erste massenmediale reine Distributionsmedium und was wird distributiert? Keine Kunstwerke, sondern Daten. Das heißt keine Dinge. Die analoge Kunst macht Dinge. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Kunst aus Dingen besteht. Jetzt lernen wir langsam nach 80 Jahre, dass Kunst aus Daten bestehen kann. Radiokunstwerke sind also Datenkunstwerke, raum- und zeitbasierte Kunstwerke. Sie verbreiten sich im Raum des Nebeneinander und in der Zeit des Nacheinander. Radio ist also das erste Datenmedium. Das erste Medium im heutigen Sinne Autor 6 Damit hat Peter Weibel implizit auch die Frage beantwortet, die nach seinem Vortrag aus dem Publikum gestellt wurde: Frager Was mich interessiert ist wie sie sich das vorstellen, wie die Zukunft der Radiotechnologie aussehen könnte? Radio nach dem Radio quasi? Kubisch Sound Autor 7 Wenn Peter Weibels Analyse stimmt und das Radio, schon zu analogen Zeiten das erste Daten prozessierende Medium überhaupt war, dann geht das nicht mehr weg. Das ist wie mit den elektromagnetischen Feldern. Wir sind von der analogen Gutenberg-Galaxis in die digitale Turing-Galaxis übergetreten und da gibt es kein Zurück mehr. Weibel 2 Radio ist nicht ein Produktionsmedium, sondern eine Distributionsmedium. Es ist ein multiples Medium, das für alle Formen des Tons, für alle Frequenzen des Schalls, von der Literatur bis zur Musik, ein Produktions- und Distributionsmedium ist. Wenn wir sagen so leichtfüßig: „Alles, was Flügel hat, fliegt“, dann sage ich OK, dann können wir auch sagen: „Alles, was auf elektromagnetischen Wellen surft, ist Radiomaterial nicht nur Sprache und nicht nur Musik. Autor 8 Doch Sprache ist zweifellos einer der wichtigsten Inhalte des Mediums Radio. Es muss ja nicht immer die menschliche sein. Die Kulturphilosophin Mirjam Schaub unternahm in Edinburgh einen analogen Soundwalk und entdeckte dabei ein erstaunliches Sprachphänomen: Schaub Ich konnte das in Edinburgh sehr schön beobachten, da sind sehr viele Möwen, die sich mit den Amseln einen Wettstreit liefern und es ist tatsächlich so: eine Möwe kann nicht singen wie eine Amsel, aber sie versucht es. Und ich musste wirklich schallend lachen, als ich zum ersten Mal eine Möwe auf einem typischen Amselplatz saß, die eine Amsel vertrieb und versucht wirklich den Amselgesang nachzumachen, was natürlich der Möwe überhaupt fürchterlich misslang. Und wer immer mal in Gremien arbeitet, weiß wie wichtig es ist mit einer ganz bestimmten Stimme bestimmte Dinge zu sagen. Autor 9 Eines ist also nach drei Tagen Symposium klar geworden. Mindestens ebenso lohnend wie eine Choreographie des Sound ist eine Ornithologie der Stimme. Weibel 3 Wenn man Radio hört, hört man nicht das Medium Radio. Das ist etwa so, wenn ein Fisch im Wasser schwimmt, weiß er nicht, dass er im Wasser schwimmt, sondern er glaubt, das ist seine natürliche Umwelt und sie ist für ihn unsichtbar. In dem Augenblick wo der Fisch durch menschliche Schuld aus dem Aquarium herausgeschmissen wird, kommt er in die Luft und dann merkt er plötzlich, er ist in einem neuen Medium und da stimmt war nicht. Und so ist das heute bei den Radiohörern. Sie hören Radio und wissen gar nicht in welchem Medium sie sind. Erst wenn sie herausgeworfen werden merken sie es sozusagen. Die Künstler sind die einzigen die uns zeigen und hörbar machen: wir sind im Aquarium der Schallwellen. Das ist die wichtige Botschaft, die uns die Radiokunst nahelegt.