Christophe Deleu

Kulturradio in Frankreich

Feature und Hörspiel in Frankreich. Von Christophe Deleu: eine Besonderheit des öffentlich-rechtlichen Hörfunks Beim Vergleich der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender zeigt sich, dass heute im Privatradio Feature sowie Hörspiel, Erzählung und Radio-Essay völlig fehlen. Für manche fiktionale Formen galt das nicht immer. Fortsetzungsromane waren vor der Einführung des Fernsehens ein sehr beliebtes Genre in den Privatradios, zum Beispiel die Forsetzungsgeschichte „La Famille Duraton“, die ab 1937 auf Radio Cité und nach dem Zweiten Weltkrieg auf Radio Luxemburg gesendet wurde. Heute finden sich Features und künstlerische Radioformen nur noch in einigen Programmen des öffentlich-rechtlichen Hörfunks, insbesondere bei France Culture, ein Programm mit einem Höreranteil von 2%. Zu den bekanntesten Sendungen gehören seit 1967 „L’Atelier de création radiophonique“ und "Sur les Docks". In der Programmleitung von France Culture gibt es die Position des Beauftragten für Feature und künstlerische Radio-Formen, zur Zeit hat Irène Omelianenko diesen Posten. Weitere Sendungen, die die Geschichte von France Culture geprägt haben, waren von 1978 bis 1999 „Le nuits magnétiques“ (Die magnetischen Nächte) und in den Jahren 1999 bis 2009 „Surpris par la nuit“ (Von der Nacht überrascht). Einige der Radiomacher sind in Erinnerung geblieben: Alain Trutat, José Pivin, René Jentet, René Farabet, Yann Paranthoën. Doch das sind Ausnahmen. Ein radiophones Erinnerungsvermögen gibt es nicht wirklich, und nur wenige Hörer kennen die Namen von Hörfunkautoren oder Regisseuren. Dennoch gibt es bis heute berühmte Hörspiele: etwa die erste Stereoproduktion „Une larme du diable“ von René Clair. „L’attentat en direct“ von Claude Olier, „Indiana Song“ von Marguerite Duras. France Inter, mit rund 10 % Höreranteil das meistgehörte öffentlich-rechtliche Radioprogramm, sendet kaum Features oder Hörspiele. Die gibt es dafür auf Arte Radio, einem rein französischen Ableger des Fernsehsenders Arte, der nur im Internet zu hören ist. Bemerkenswert ist auch, dass die öffentlich-rechtlichen Radiosender alle ihre Programme selbst produzieren, im Gegensatz zum Fernsehen, dass seine Produktionen zunehmend an private Firmen delegiert. Künstlerische Sendungen sind vereinzelt auch in Bürger- oder Campusradios zu hören. Seit es auf dem Markt kostengünstige Aufnahmegeräte und Schnitt-Software gibt, ist es für diese Sender einfacher geworden, solche Produktionen zu senden. Allerdings ist es unmöglich alle aufzuzählen und auszuwerten: es gibt in Frankreich mehr als 500 Bürgerradios. Die künstlerische Radioproduktion ist also sehr lebendig in Frankreich und wird auch regelmäßig bei den verschiedenen internationalen Wettbewerben ausgezeichnet: Prix Italia, Prix Europa, Prix Phonurgia Nova ... In Frankreich gibt es zwei bedeutende Festivals für Radiokunst: "Longeur d’Ondes" in Brest, "Sonor" in Nantes. 2009 haben Feature-Autoren sogar einen eigenen Verband gegründet: Addor, den „Verein zur Förderung des Radio-Features“. Und das obwohl Features und Hörspiele nur sehr wenig Sendeplätze im öffentlich-rechtlichen Hörfunk haben. Das liegt daran, dass man sich in Frankreich Radio vor allem so vorstellt: als ein Live-Medium, das mit nur wenig Mitteln auskommt, mit einem Moderator, einem Journalisten, der sich mit seinen Gästen unterhält, oft auch am Telefon. Seit der Erfindung des Radios sind die Hörer gewöhnt an diese ‚Leit-Stimme’ des Journalisten oder Moderators, die ihm Orientierung gibt in einem Klangraum mit unscharfen Konturen. Deshalb bleibt Radio, auch wenn von Kunst oder Kultur die Rede ist, vor allem ein Kommunikationsvektor: die Vertreter anderer Künste kommen ins Studio und erzählen von ihrer Arbeit. Features und Radiokunst-Produktionen stützen sich im Gegensatz dazu nicht auf diese Art von Dispositiv, wo Medienvertreter und Gäste zusammenkommen. In künstlerisch gestalteten Radiosendungen gibt es keinen Moderator oder Journalisten als Identifikationsfigur. Für die Hörer geht es vielmehr darum, in spezifische Klangwelten einzutauchen. Radio wird hier voll und ganz zur Kunst. Folglich ist es diese Fähigkeit des Radios, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Kunst zu produzieren, die Debatten auslösen kann. Die ängstliche Zurückhaltung der Radios, selbst Kunstwerke zu schaffen, kann man nur bedauern. Insofern ist es verständlich, dass es Klangkunst außerhalb der Radiosender gibt, zu hören in Installationen und Performances in Museen oder Konzertsälen. Vielleicht wandelt sich aber durch neue Techniken gerade unser Verständnis von Radio, denn vom sende-unabhängigen Hören über digitale Medien, on demand, als download oder podcast profitieren Features und Radiokunst. Das zeigt die hohe Anzahl von Podcast-Abrufen bei France Culture. Über Podcast und Streaming können die Hörer die Sendungen hören, wann sie es wollen. Sie können aufhören, das Radio nur als Begleitmedium zu nutzen und sich hinsetzen und Radio hören wie sie einen Kinofilm anschauen. Radiokunst hat also zweifellos eine gute Zukunft.

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