Das jüngste Gerücht - 4

Steffen Grimberg über Boris Johnson und dessen Gerüchte

Das Gerücht der Woche  
Großbritannien tritt pünktlich zum 31. Oktober aus der Europäischen Union aus. Bis dahin ist ein neuer „Deal“ mit der EU unter Dach und Fach. Und natürlich der leidige „Irish Backstopp“ vom Tisch. Also der Mechanismus, mit dem eine feste Grenze zwischen der Republik im Süden und dem weiter zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland verhindert werden soll.  
Und selbst, wenn es mit einem neuen Deal mit der EU nichts wird und Ende Oktober ein harter Brexit ansteht, wird das Großbritannien keinesfalls ärmer machen. Nein, die Wirtschaft würde insgesamt und langfristig in Größenordnungen von 80 Milliarden Pfund von einem „No-Deal“-Ausstieg aus der EU profitieren.  
Wer all das sagt und behauptet? Boris Johnson natürlich. Man muss leider annehmen: Er glaubt es auch. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn Johnson der Zeitungskolumnen-Schreiberling in eigener Sache bliebe, der er aktuell ist. Für die Leib- und Magenzeitung der Konservativen versteht sich, den Daily Telegraph. Dummerweise dürfte der Mann, dessen gesamte Karriere auf Halbwahrheiten, Verdrehungen und dem Anheizen der Gerüchteküche beruht, aber am Mittwoch kommender Woche in Number Ten Downing Street einziehen. Als neuer britischer Premierminister.  Und das ist leider kein Gerücht, sondern die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit.  
Für das „Team Boris“ dagegen ist die Sache klar: Großbritannien geht einer glorreichen Zukunft entgegen. Man macht einfach da weiter, wo man anno 2016 beim Referendum über den EU-Austritt aufgehört hat: Mit Manipulation, markigen Sprüchen und hohlen Phrasen. Jüngstes Beispiel: Angebliche Berechnungen, dass Großbritannien sich durch einen „No deal Brexit“ mal eben um 80 Milliarden besser stellt. So etwas macht sich „Team Boris“ gern zu eigen. Frei nach dem Motto - was sind dagegen schon die Aussagen von Wirtschaftsverbänden und Wissenschaftlern wert, die bei einem harten Brexit eine langfristige Rezession vorhersagen?    
Boris Johnsons Fähigkeit, Gerüchte als Wahrheiten zu verkaufen, ist legendär. Das war schon in seiner Zeit als Korrespondent in Brüssel so. Damals berichtete er von einer angebliche geplanten Norm für quadratische Erdbeeren. Oder dass britische Fischer künftig auf hoher See aus Hygiene-Gründen Haarnetze zu tragen hätten. Das Prinzip ist immer das gleiche und funktioniert auch heute noch: Der ohnehin euroskeptischen britischen Mehrheit Gerüchte und Halbwahrheiten zu verkaufen, solange sie nur schön knallig sind und alte Vorurteile und Sehnsüchte bedienen. Was macht es schon, wenn alle EU-Politikerinnen und Politiker bis hin zur frisch gewählten künftigen Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen zu Protokoll gegeben haben, dass mit ihnen ein Aufschnüren des fertig verhandelten Ausstiegsvertrags nicht zu machen ist?   
Johnsons Gegenkandidat um den Posten an der Spitze der Konservativen steht dagegen auf verlorenem Posten. Jeremy Hunt - Johnsons Nachfolger im Amt des Außenministers - hat keine Chance. Und zwar gerade weil er die Gerüchteküche nicht bedient. Der Mann ist dabei ein genau so austrittswütiger Brexit-Fan wie Johnson. Aber Hunt gibt zum Beispiel zu, dass - gerade wenn man in Ansätzen zu Neuverhandlungen mit der EU kommen will - ein Austritt bis zum 31. Oktober nicht zu machen ist. Oder dass der Abschluss von bilateralen Handelsabkommen mit gleich einem ganzen Schwung von Staaten - nicht ganz leicht wird.   Boris Johnson hat damit natürlich kein Problem. Mit den USA werde er ganz easy ein noch nie da gewesenes Handelsabkommen verhandeln, tönt er. Dass sein Freund Donald Trump eben erst bei seinem Staatsbesuch in London sehr klar gemacht hat, dass mit ihm bei so was keinesfalls ein Spaziergang zu erwarten ist und Großbritannien große Zugeständnisse machen muss - egal.   Große Töne spucken konnte Johnson schon zu seiner Zeit als Londoner Bürgermeister. Da wurde zum Beispiel eine Seilbahnverbindung über die Themse als neues Massenverkehrsmittel ausgerufen. Fortschrittlich sei das und würde den Verkehrskollaps in der britischen Hauptstadt  entlasten. Wieder so ein Gerücht: das Ding wurde gebaut, viel teurer als geplant - und fährt heute bestenfalls ein paar Touristen hin und her. Auch der geplante Flughafen in der Themsemündung blieb eine Fata Morgana made bei Boris Johnson. Geschadet hat ihm das alles - nichts.  
Und wie verhält es sich mit der Fähigkeit des gelernten Journalisten Johnson zur Politik? „I was Boris Johnson’s boss: he is utterly unfit to be prime minister“, Ich war Boris Chef - er ist komplett ungeeignet, Premierminister zu werden, hat der frühere Telegraph-Chefredakteur Max Hastings unlängst geschrieben. Sein Fazit „Die Tories sind dabei, dem britischen Volk einen schlechten Scherz anzudrehen“. Denn Boris Johnson schere sich um nichts als seinen Ruhm und seine Einnahmen.  
Womit wir wieder bein den 80 Milliarden Pfund wären, die in der Welt des Boris Johnson bei einem harten Brexit in die Kassen Britanniens gespült werden. Dumm nur, dass Johnsons Parteifreund Philipp Hammond das ganz anders sieht: Der meint, dass das britische Sozialprodukt bei einem ungeregelten Austritt aus der EU um satte 90 Milliarden Pfund in die Knie geht. Aber Hammond ist ja bloß Finanzministerminister. Und dass das britische Pfund seit Tagen an Wert verliert ist zwar Tatsache. Aber für Boris Johnson - wahrscheinlich nur ein übles Gerücht.          

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