Es ist ein paar Jahre her, da stand das Schweizer Kulturradio vor einem Problem. Die Übermittlung einer Musikaufnahme vom Konzertsaal ins Studio wollte und wollte nicht klappen, und der Sendetermin rückte unbarmherzig näher. Das einzige, was vorlag, war eine Vorhörversion im mp3-Format. In fieberhafter Hektik versuchten die Studiotechniker, der hochauflösenden Aufnahme habhaft zu werden, jedoch ohne Erfolg. Und weil mp3 immer noch besser ist als Sendepause, wurde am Ende – mit dem Wissen um ewige Verdammnis in der Rundfunkhölle – das mp3 ausgestrahlt.
Musikredakteurinnen, Techniker, ich als Programmreferent – alle schüttelten wir uns insgeheim vor Abscheu, und alle blickten wir mit Bangen den erzürnten Briefen eines entsetzten Radiopublikums entgegen. Tatsächlich geschah – nichts. Kein Anruf. Kein Brief. Keine E-Mail. Nichts. Es schien, als habe nicht ein einziger Hörer einen Unterschied bemerkt. (Tatsächlich las mir ein paar Tage später auf offener Strasse ein älterer Herr dann doch noch die Leviten. Es war, wen wundert’s, ein pensionierter Rundfunktechniker.)
mp3-Player und Handys lassen uns zu auditiven Analphabeten verkümmern. Radio in Hi-Fi ist Futter für Mediendinosaurier – Nachrichten und Reportagen, Hörspiel und Feature werden am Computer und aus winzigen Leisesprechern gehört, Konzerte gar mit dem Knopf im Ohr. Von High Fidelity, dem unerfüllten Traum meiner Jugend, verstehen wir heute ungefähr so viel wie eine Milchkuh von Quantenmechanik.
Bei allen Medienrevolutionen der vergangenen Jahrzehnte: Fernseh- und Computerlautsprecher haben aus Medien Klangpfusch und aus uns Hörkrüppel gemacht. Die Urgewalt des Tons haben wir genauso miniaturisert wie Plattenspieler, Projektor und Schreibmaschine, jene wunderbaren Kulturapparate, die der Mahlstrom der Digitalisierung längst verschlungen hat. Heute fehlt uns das Schulen eines Sinns, der wie kein anderer mit der Welt des Empfindens, mit unserem Innersten verbunden ist.
Ganz besonders trifft das auf die neuen Medien zu, deren Klang uns aus Notebook und iPad entgegenquäkt. Radio und seine wahlweise flüsternden oder dröhnenden Antworten auf die Fragen der Zeit werden vom mächtigen Strom zum Rinnsal, das aus den Maschen des Netzes tröpfelt. An der Technik kann es nicht liegen. Die weltumspannende Medienmaschinerie, die heute schon gegen eine Milliarde Stunden Film fasst, käme durchaus auch mit gutem Klang zurecht. Es liegt an uns, den Medienmenschen, unser Ohrenmerk wieder auf eine Dimension zu richten, die in der Bilderflut untergegangen ist. Ob Video oder Animation, ob Stop Motion oder Timelapse – nicht bloss der althergebrachte Rundfunk, sondern auch alle jüngeren und jüngsten Formate sind auf einen Ton angewiesen, der nicht bloss ein Tönchen ist.
Die letzten Jahrzehnte mögen den Fotografinnen, den Kameraleuten und den Handyfilmern gehört haben. Die kommenden dagegen gehören uns: Den Klangkünstlerinnen und Tonjägern, den Audioenthusiasten und Radiomenschen. Der schönen neuen Medienwelt den Klang zurückzugeben, den sie verdient hat: Auf uns wartet eine Menge Arbeit.
Packen wir’s an.
Thomas Weibel
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