Den richtigen Ton finden

03.12.2014

Wo hätten wir hingehen sollen. Die „Helgoland“ kreuzt irgendwo im Pazifischen Ozean. Eine Reise nach Vietnam mit den Interviewpartnern hätte den finanziellen Rahmen der Produktion gesprengt. Gute Interviews werden nicht zwischen Tür und Angel geführt. Sie brauchen Zeit, viel Zeit. Zwei, drei, vier Stunden. Rede ich mit einem sendungsbestimmenden Protagonisten fahre ich mehrmals hin oder bin für einige Tage sein Schatten und manchmal Komplize. Nur so kann ich Vertrauen aufbauen. Ich finde, dass Sympathie ein sehr wichtiger Faktor ist. Ich muss meinen Interviewpartner sympathisch finden (und er mich), dann kommen die richtigen Töne. Ich muss zu meinen Interviewpartnern immer eine Beziehung aufbauen – selbst, wenn ich seine Einstellung absolut nicht teilen will. Und das in Raketengeschwindigkeit. Die Autorin Isabel Wilkerson spricht von „accelerated intimacy“. Das beginnt beim Vorgespräch. Im Vorgespräch kläre ich Fakten. Beim Hospitalschiff: Einsatzzeit, Einsatzort und sammele dazu schon einige biografische Eckpfeiler. Es ist meine erste Möglichkeit den Menschen kennenzulernen und er mich. Im Idealfall schaffe ich es also schon in den Vorgesprächen Vertrauen aufzubauen. Dass ich niemanden vorführen will, dass ich ihm seinen Raum lasse und nicht mit vorgefertigten Meinungen bei ihm aufkreuze. Deswegen versuche ich möglichst meine Recherchen zu vergessen und nicht mit vorgefertigten Fragen ins Interview zu gehen. Im Hinterkopf sind sie trotzdem. Die „Helgoländer“ habe ich meistens zuhause getroffen. Sie waren in ihrer gewohnten Umgebung, sie fühlten sich wohl. Am Anfang des Interviews erkläre ich noch einmal, weshalb ich da bin, dann erzähle ich warum mich das Thema interessiert und auch welche Technik ich dabei habe, um Barrieren abzubauen. Außerdem ist es wichtig, dass es ruhig ist, so dass keine störenden Nebengeräusche von Klimaanlagen auf Band sind. Es sei denn es dient der akustischen Untermalung (Leider vergesse ich das manchmal immer noch. Beim Interview mit Hans-Dieter Grabe beispielsweise). Ein Gespräch wird gut, wenn ich es schaffe, mit meinem Gesprächspartner eine gemeinsame Erzählung zu entwickeln. Denn ich bin zwar Autor, aber das Interview und auch die Sendung ist ein „gemeinsames Vorhaben“, wie Helmut Kopetzky sagt. Originaltöne sollten Emotionen haben, sie sollen anschaulich sein. Um den Erzähl – oder Erinnerungsmodus einzuschalten, ist es hilfreich sich gemeinsam Bilder oder andere Artefakte anzusehen. Sofort sind die Menschen wieder in der Situation, können sich wieder hineinfühlen. Für die Interviewten ist es nicht einfach, sich interviewen zu lassen. Sie erzählen mir ihre Geschichten, manchmal weinen sie sogar. Deswegen lasse ich ihnen viel Raum, um Gedanken zu entwickeln. Ich möchte ihre Stimmungen erfahren, ich frage nach Gefühlen, nach Meinungen, nach Entwicklungen und Brüchen im Leben. Ich will meinen Mitspieler verstehen. Als Interviewer lass ich mein Gegenüber natürlich ausreden, außer ich muss wirklich nachhaken sei es aus Stilgründen oder weil ich eine Aussage nicht stehen lassen kann. Auch wenn es ein Allgemeinplatz ist: Respekt ist wichtig, falsche Scheu nicht. Außerdem stelle ich dieselbe Frage oft in Variationen. „Sometimes people need three or four changes to get it right. That next try can create poetry“, beschreibt Isabel Wilkerson diese Technik. Das funktioniert beim besten Willen nicht immer. Manchmal ist in einem Gespräch einfach der Wurm drin. Dann hilft es in die Metaebene zu wechseln und seine Gefühle oder Gedanken zu äußern. „Ich habe das Gefühl, dass Sie für dieses Gespräch gerade keine Zeit haben“. Dieser kurze Ausstieg kann die Situation lockern, er zeigt aber auch, dass der Interviewer wirklich dabei ist. Zwei-, dreimal hat mir das tatsächlich ein Gespräch gerettet und es wurden fantastische Interviews. Mitunter hilft auch das nicht, dann heißt es Augen zu und durch oder Abbruch. Kommt vor ist aber auch nicht so wild. Bei der Helgoland hatte ich so ein Interview, das ziemlich aus dem Ruder gelaufen ist. Ich war gut vorbereitet, hatte Zitate aus einem Buch des Gesprächspartners mitgebracht. Und klebte dann zu sehr an meinen Fragen.

Kommentare

Möchten Sie einen Kommentare abgeben? Benutzern Sie Ihren Dokublog Login. Nach dem Login wird hier das Kommentarfeld angezeigt. Hier einloggen ...