Medientagebuch September 2011

Steffen Grimberg

Das Medientagebuch Was war das für ein Rauschen im Blätterwald! Allen Unkenrufen auf das baldige Aussterben des gedruckten täglichen Worts zum Trotz kann der September sogar als großer Zeitungsmonat in die Annalen eingehen. Weshalb dieses Medientagebuch etwas anders als sonst daherkommt. Schließlich gab es gleich zum Auftakt eine veritabel Sensation: Bei der WAZ-Gruppe im schönen Ruhrgebiet bahnte sich eine Revolution an, die bis heute eine ganze Branche in Zuckungen versetzt. Denn was da in Essen passiert, ist symptomatisch für die deutsche Zeitungslandschaft, die ja immer noch zum größten Teil von Familienunternehmen geprägt wird. Auch wenn diese manchmal ganz schön groß sind – wie eben die WAZ: 27 Tageszeitungen, 13 Wochenzeitungen 175 Publikums- und Fachzeitschriften, 99 Anzeigenblätter, rund 400 Kundenzeitschriften, dazu Beteiligungen auch an Radio und Fernsehstationen. Natürlich nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, genauer: vor allem im Südosten des Kontinents. Trotzdem: die Zentrale des Konzerns steht geradezu unschein-bar in der Nähe des Essener Hauptbahnhofs. Ein zusammengewürfeltes Gebäudesammelsurium, geprägt vom Charme der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Und geprägt vom ewigen Dualismus zweier Familien, die vor gut 60 Jahren die Lizenz für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung bekamen und damit reich wurden. Sehr reich. Auf der einen Seite Erich Brost, der SPD verpflichtet. Auf der anderen Seite Jakob Funke, eher CDU-nah. Bis heute ist die gesamte Gruppe zweigeteilt zwischen den Nachkommen Brosts und Funkes – jede Hälfte bestimmt auch ihren eigenen Geschäftsführer. Und damit auch ja keiner den anderen über den Tisch zieht, müssen alle großen Geschäfts-Entscheidungen einstimmig fallen, so will es die Satzung. Doch dann Anfang September der Paukenschlag: Petra Grotkamp, eine der Töchter von Jakob Funke, will die WAZ-Hälfte der Brosts kaufen. Ganz offen und ungeniert berichtet der WAZ-Chefredakteur sogar darüber im eigenen Blatt in eigener Sache – auch das hat es so noch nie gegeben. 470 Millionen Euro bieten Petra und ihr Gatte Günther Grotkamp für die andere Hälfte der WAZ. Nachdem schon in den letzten Jahren die WAZ-Zeitungen selbst durch Sparrunden und Redaktionszusammenlegungen immer enger aneinander gerückt sind, könnte jetzt der Konzern folgen. Es wäre das Ende einer Ära – und eine völlige Neuausrichtung der WAZ. Deren Folgen weit über diesen Einzelfall hinausgehen. Zeitungsverleger – das ist bis heute eine beinahe archaische Branche. Das heilige Gleichgewicht der Stämme auszuhebeln gilt hier als Sakrileg. Und passiert doch immer häufiger – wie die Süddeutsche Zeitung als prominentestes Beispiel der letzten Jahre zeigt. Denn die Erben der Gründergeneration sind oft müde. Ihnen fehlt das Zeug zum Verleger, dem eine Zeitung nicht bloßes Renditeobjekt wie eine Schraubenfabrik ist. Dazu kommt die Unsicherheit: Wie geht es im digitalen Zeitalter mit der Zeitung eigentlich weiter? Und: Wie lange noch, jedenfalls so, dass die Kasse stimmt? Die Brost-Erben, allesamt aus der Enkelgeneration, haben jedenfalls keine Lust mehr auf Print. Sie gelten als durchaus offen für den Verkauf. Die Entscheidung liegt nun beim Testamentsvollstrecker der Brost-Seite. Da hatte der deutsche Altphilologe Wolfgang Riepl zwar schon 1913 das nach ihm benannte Gesetz erfunden. Nach dem werden Medien „wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden können, sondern sich neben diesen erhalten, nur dass sie genötigt werden können, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen.“ Auf deutsch: Durch neue, vor allem technische Entwicklungen, verschwindet kein altes Medium ganz, sondern passt sich an die neuen Bedingungen an und bleibt verändert bestehen. Doch ob und wie man damit Geld verdienen kann, hat Riepl, selbst einst Chefredakteur der Nürnberger Zeitung, nicht vorhergesagt. Die Folgen ließen sich Mitte September in Berlin betrachten: Die Verleger trafen sich zu ihrem alljährlichen Jahreskongress. Gute Laune hatte dabei eigentlich nur einer: Springer-Chef Mathias Döpfner. Denn Deutschlands größtes Zeitungshaus ist den anderen schon ein gutes Stück voraus in Sachen digitale Welten. Ein ordentlicher Umsatzanteil kommt schon heute aus dem Geschäft im Internet. Alles wäre gut, gäbe es nicht auch bei Springer diesen vertrackten Schönheitsfehler: Man verdient online, aber eher mit Preisvergleich-Websites und Immobilienbörsen - nicht mit journalistischen, redaktionellen Produkten. Ein Ausweg ist weiter höchstens schemenhaft am Horizont in Sicht: Die App, die Applikation fürs intelligente Handy (das folgerichtig Smartphone) heißt und den Tablet-PC soll's richten. Weshalb die Verleger gern auf den vermeintlich größten Feind einprügeln, den die deutsche Medienlandschaft hergibt: Weil Google so weit weg ist, darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk dran glauben. Die „tagesschau“-App ist also des Teufels, versicherten sich die Herren der Zeitungen in trauter Gegenseitigkeit. Was sie dann nicht mehr so gern dazu sagen, aber mittlerweile wissen: Die Wurzel allen Übels ist sie nicht. Dann kam die Kanzlerin, sprach zu den Verlegern und erging sich in schwer zu überbietenden Plattitüden. Und Döpfner guckte grimmig drein. Vielleicht reifte ja bei diesem Verleger-pow-wow in ihm die Idee, die ganz am Ende dieses Medientagebuchs aus dem Blätterwald wieder an den Anfang führt: Am 30. September, dem letzten Tag des Monats, der im deutschen Altertum auch schon mal Holzmonat hieß und so unfreiwillig auf die immer noch stark papierhaltige Zeitungsbranche verweist, platze jedenfalls die Bombe des Springer-Chefs. Wenn die WAZ schon halb zum Verkauf steht, schrieb Döpfner sinngemäß an die Eignerclans in Essen, könne sie doch auch Springer kaufen. 1,4 Milliarden wäre dem Konzern das wert. Und er, Döpfner, glaube nun mal daran, dass Zeitungen und Zeitschriften "auch langfristig ... eine attraktive Zukunft haben". Der Testamentsvollstrecker nahm's humorig-christlich: „Prüfet alles und behaltet das Beste", zitierte Peter Heinemann, ein Bruder der Theologin Uta-Ranke Heinemann, den Apostel Paulus. Seitdem rechnet er.

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