Radio darf nicht zum Sparschwein für das Fernsehen werden

Olaf Zimmermann

Aus dem Schatten heraustreten: Radio darf nicht zum Sparschwein für das Fernsehen werden Von Olaf Zimmermann Wenn über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemosert, diskutiert, gestritten wird, ist zumeist vom Fernsehen die Rede. Es wird geklagt über zu wenig Tiefgang, über Plattitüden, über reine Unterhaltung, über zu viel Sport. Es wird gejammert über zu viel Abgehobenes, über Unverständliches, über zu wenig Unterhaltsames und zu wenig Sport. Dem einen ist das Programm zu flach und zu sehr in der Nähe der privaten Sender, dem anderen ist es zu elitär und zu wenig zuschauerorientiert – eben öffentlich-rechtlich, ergo langweilig.

Dokumentarfilmer beklagen die Formatierung und die Einengung von Spielräumen für eigene Ideen und künstlerische Arbeiten. Kinofilme werden, so die Meinung aus der Filmbranche, vielfach schon mit der Brille des Fernsehens entwickelt und produziert, sodass die Potenziale zu wenig ausgeschöpft werden. Politische Talkshows dienen, so meine Meinung, in erster Linie der Unterhaltung und weniger dem Ergründen und Diskutieren von politischen Positionen. – Jeder hat seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Fernsehen und verallgemeinert diese gerne einmal.

Und das Radio? Während die Diskussion um das Fernsehen die Gemüter in Wallung versetzen kann, scheint das Radio dahinter in den Schatten zu treten.

Das Radio hat seine Formatierung oder positiv formuliert seine Profilierung schon seit Jahrzehnten hinter sich. Jede Welle hat ihr eigenes Profil. Wer moderne populäre Musik, aufstrebende Poetry-Slamer oder Comedians hören will, hört EinsLive, Fritz, SWR3 oder vergleichbare Wellen. Wer gerne Schlager und Regionales liebt, ist bei SWR1, NDR Radio Niedersachsen und anderen gut bedient. Wessen Herz für die ernste Musik schlägt, wer sich gerne überraschen lässt und seinen Ohren Ungewohntes, Unerhörtes, Crossover zumuten möchte, kommt bei SWR2, WDR3 und anderen auf seine Kosten. Viele andere Beispiele ließen sich aufzählen. Die zahlreichen Hörfunkwellen der öffentlich-rechtlichen Sender im linearen Programm und die zusätzlichen non-linearen Angebote bieten nicht nur einen bunten Strauß, sondern einen ganzen Blumenladen an Vielfalt, an Großem und Kleinem, an Gängigem und Besonderem.

Die Radiomacher haben frühzeitig erkannt, dass sie Verbündete brauchen. Der WDR war im Jahr 2000 der erste Sender, der sogenannte Kulturpartnerschaften einging. 2004 zog SWR2 nach. Kultureinrichtungen und Einrichtungen der kulturellen Bildung und die Kulturwellen  wurden Partner. Sie produzieren kleine Trailer, in denen ausgewählte Veranstaltungen beworben werden. Podiumsdiskussionen werden gemeinsam durchgeführt und hinterher im linearen Programm ausgestrahlt. Als Podcast sind sie noch einige Monate nach der Veranstaltung und Sendung abrufbar. Die Kulturwellen haben  sich damit Freunde gemacht, sind präsent in der Kulturlandschaft ihrer Länder. Eine Kulturpartnerschaft bedeutet nicht, dass die kritische Berichterstattung erlahmt. Im Gegenteil, Kulturpartner werden journalistisch nicht anders behandelt als andere auch. Eine misslungene Inszenierung wird als solche rezensiert, eine missratene Ausstellung wird als solche bezeichnet und anderes mehr. Radio ist nicht käuflich! Das ist richtig und gut so.

Hörfunksender als Partner von zivilgesellschaftlichen Organisationen, dieses Modell haben inzwischen auch andere Sender übernommen. So ist der Deutsche Kulturrat, mein Arbeitgeber, aus alter Tradition gegenüber seinem Gründungssitz Bonn weiterhin Kulturpartner von WDR3. WDR3 hat verschiedene Diskussionen des Deutschen Kulturrates, die in Berlin stattgefunden haben, übertragen. Der Deutsche Kulturrat arbeitet aber ebenso mit inforadio des rbb zusammen. Ausgewählte Diskussionen in Berlin, die der Deutsche Kulturrat allein oder mit Partnern veranstaltet, werden von rbb-Mitarbeitern moderiert, im linearen Programm ausgestrahlt und als Podcast non-linear zur Verfügung gestellt. Gerade hat der rbb mit dem Deutschen Kulturrat im Zeiss-Großplanetarium die Sendung „Kultur der Dunkelheit“ produziert.

Ähnliches gilt für den Deutschlandfunk. Zusammen mit den Berliner Festspielen, dem DGB und Deutschlandfunk veranstalten der Deutsche Kulturrat und die Initiative kulturelle Integration zwei Mal im Jahr eine Diskussionsrunde „Reden wir über Veränderung“, die als Fishbowl-Format zur Diskussion einlädt und im Radio mitzuhören ist. Zusammen mit dem Kulturbüro der EKD, der Kulturstiftung St. Matthäus und dem Deutschen Kulturrat wird die Reihe Kultur.Forum veranstaltet. Die ebenfalls zwei Mal im Jahr stattfindenden Diskussionen können im Radio mitverfolgt und als Podcast gehört werden.

Diese Formate verbindet, dass die Themen gemeinsam von den Redaktionen und den zivilgesellschaftlichen Akteuren gesetzt werden, sich über Diskutanten zusammen verständigt wird und die verschiedenen Partner in ihrer jeweiligen Community die Veranstaltung und Sendung bewerben. Es werden so Menschen erreicht, die ansonsten nicht zur klassischen Zielgruppe der jeweiligen Partner gehören. Eine Win-Win-Situation. Verlässt der öffentlich-rechtliche Rundfunk speziell das Radio damit seine Rolle als kritischer Beobachter? Macht er sich mit denjenigen gemein, die er eigentlich beobachten, kritisieren oder loben soll? Ich bin der festen Überzeugung, dass das nicht der Fall ist.

Redakteure, Moderatoren, Programmverantwortliche haben als Kompass die journalistische Unabhängigkeit und diese lassen sie auch gegenüber ihren Partnern spüren. Was ihnen nicht schmeckt, was sie journalistisch nicht verantworten können, kommt nichts ins Programm. Da helfen kein Jammern und kein Wehklagen.

Das Radio hat Freunde, viele sogar, aber es steht trotzdem vor großen Herausforderungen. Radio steht es sehr oft im Schatten des Fernsehens! Gerade mit Blick auf die neuen cross-medialen Redaktionen, das Zusammenlegen von Fernsehen-, Hörfunk- und online-Redaktionen, wird es darauf ankommen, die spezifischen Kompetenzen des Radios stark zu halten. Radiomacher sind kreative Köpfe. Sie achten aufs Ohr, aufs Hören, aufs Zuhören. Sie kennen auch die leisen, die Zwischentöne. Fähigkeiten, die in einer stark visuell geprägten und vor allem schnellen Welt dringend benötigt werden. Radiomacher können entschleunigen, differenzieren und damit zur Tiefenschärfe beitragen. Diese Stärken können und müssen sie in die cross-mediale Arbeit einbringen, aber sie müssen genutzt werden und Wertschätzung erfahren. Das Radio muss aus seinem Schatten heraustreten und selbstbewusst seine Kompetenzen einbringen.

  • Eine weitere große Herausforderung ist die Beitragsfinanzierung. Radio bietet beides: Grundversorgung und Highlight. Die Zukunftsfähigkeit des Radios wird sich daran entscheiden, ob es gelingt, beides in die crossmediale Arbeit einzubringen. Da das Fernsehen so deutlich mehr finanzielle Ressourcen benötigt als das Radio, wird das Radio darum kämpfen müssen, nicht zum Sparschwein für das Fernsehen zu werden. Das Radio muss weiter investieren in spannendes Programm.

Dazu gehören Wagnisse:

  • unbekannten Autoren Aufträge zu geben,
  • Komponisten zu beauftragen,
  • Einspielungen von neuer Musik zu machen,
  • Klangkunst zu fördern,
  • Hörspiele zu produzieren,
  • dem Jazz ein Podium zu bieten,
  • trotz einer breiten Auswahl an Einspielungen nach wie vor an eigenen Chören und Orchestern festzuhalten
  • und vieles andere mehr.

Das Radio ist ein wichtiger, wenn nicht sogar der zentrale Auftraggeber für Künstlerinnen und Künstler. Einsparungen haben massive Auswirkungen auf den Kulturbereich. Cross-mediale Redaktionen dürfen finanziell nicht zu Lasten des Radios gehen.

Das Radio ist in den Regionen verankert. Das ist gerade für den Kulturbereich sehr wichtig. Die Berichterstattung und Rezensionen über Ausstellungen, Aufführungen, Konzerte, Veranstaltungen, Lesungen und anderes mehr sind für betreffenden Einrichtungen aber auch für die Künstler essenziell. Und das unabhängig davon, ob es sich um populäre oder ernste Kunst handelt. Das Radio schafft Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist die entscheidende Ressource für den Kulturbereich. Das Radio zeigt damit zugleich die kulturelle Vielfalt in Deutschland. Deutschland hat eben nicht ein oder zwei Kulturmetropolen, sondern eine ganze Vielzahl, große und kleine Städte und nicht zuletzt im ländlichen Raum. An vielen Orten wird mit spannenden Kulturangeboten, temporär oder auch von Dauer, aufgewartet. Hier ist das Radio ein bedeutsamer Partner und auch Multiplikator. Für die reiche Kulturlandschaft in Deutschland ist das Radio unverzichtbar.

Darum würde es auch nicht reichen, ein nationales Kulturradio zu haben. Es könnte die kulturelle Vielfalt in Deutschland gar nicht abbilden und würde dazu führen, dass vieles unentdeckt oder ungehört bliebe. Es ist schon schmerzlich genug, dass sich im Sommer die Kulturradios abends zusammenschalten. Noch mehr Vereinheitlichung würde schließlich zu einem Verlust an kultureller Vielfalt führen.

Das Radio ist zwar älter als das Fernsehen aber trotzdem moderner. Mit seinen Podcasts nutzt es die Chancen der digitalen Welt und bietet die Möglichkeit, sendezeitunabhängig Beiträge zu hören. Bei aller zeitsouveränen Nutzung wissen viele aber auch das lineare, redaktionell geformte Programm zu schätzen. Das Radio wird hier viel weniger in Frage gestellt, als das Fernsehen.

Radiomacher tun also gut daran, mit Stolz und Selbstbewusstsein aus dem medialen Schatten zu treten.

 

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