Radio Days (4)

15.10.2014

"Entwickle deine journalistische Marke und werde sichtbar für Kooperationspartner und Auftraggeber!", so steht es werbeträchtig zu lesen auf "www.torial.com". Solch Markenbewußtsein begeistert nun auch die "Freifunker". Und es stimmt ja auch, der Job der freien Funker ist hart, wird immer härter und irgendwie geht's ja nicht so und weiter, also gibt es am kommenden Freitag ein Berliner Freifunkertreffen mit “torial”-Chefredakteur Marcus von Jordan. Jeder bringt seine Marke mit und dann sieht man weiter. Vielleicht. Das Treffen findet übrigens um 19.00 Uhr statt, was bestens passt, denn immer freitags um 17.00 Uhr können man und frau auf "byte.fm" das einzig und artige "Mixtape" der taz hören - ein "Patchwork von Stimmen und Themen", freut sich Moderator Klaus Walter und alles Pop! Ohne Iggy. Noch ne Marke also und wieder kein Gedicht. Trotzdem: Was bleibt stiften tatsächlich die Dichter, auch die Komponisten. Womit wir wieder bei meinen "Radio Days" wären, the world as we knew it. Damals war's und ist doch nicht vergangen, sondern bleibt. Immerhin fing für mich alles mit Lesen und Hören an. Wenn es zum Beispiel im Radio von Oma Frieda klassische Konzerte gab, waren wir ganz Ohr. „Schon so viele Jahre Frieden! Hoffentlich bleibt’s so!“ , seufzte sie immer zwischendurch und lauschte dann wieder. Selbst meine Mutter wurde nach den Ouvertüren still, nur mein kleiner Bruder Thomas krähte fröhlich weiter. Und saß ich mal mit meiner Oma allein vor dem Radio, sah ich sie alle richtig vor mir, die Streicher und Bläser, es war wie im Konzertsaal - richtig feierlich. Nach solchen Stubenkonzerten erzählte mir Oma Frieda oft, wie ihre Eltern in Berlin den Beethoven von 78er-Schellackplatten gehört hatten und erklärte mir haargenau alle Positionen des Orchesters. Auch die Arbeit des Dirigenten. Führte mir genau vor, wie man dirigiert und meinte dann irgendwann: Jetzt Du! So kam es, daß ich nach kurzer Zeit weder Kapitän noch Trinker, auch kein Zirkusdirektor oder Lokomotivführer mehr werden wollte. Nein, von nun an suchte ich mir Sender mit klassischer Musik und dirigierte Opern und Sinfonien. Mit großen Gesten. Und rotem Kopf. „Nessun dorma!“ war die Lieblingsarie meiner Großmutter. Noch heute treibt mir der alte Jussi Björling (gern auch der Pavarotti) Tränen in die Augen: „Vincero!“, das hat sie mir beigebracht und noch viel mehr: Wie hätte ich sonst so früh wissen können, wer Puccini ist und daß es eine Liebe gibt, die sich als Musik aus dem Radio in die Herzen schwingt. Es gab damals sogar Nächte, in denen ich, den Kopf voller Musik, durchschlafen konnte, nicht mehr des Nachts aufwachte, bitter weinte und voller Schrecken war. Und wenn doch, dann hörte mich die alte Frieda und nahm mich zu sich, auf ihre alte blaue Schlafcouch. Zwar stand damals mein Vater oft genug vor der Tür, wollte, daß ich heimkam, dorthin, wo ich angeblich hingehörte, aber Oma Frieda weigerte sich: "Der Junge bleibt hier! Laß dir helfen! Du hast doch immer noch den Krieg in den Knochen!" Damals verstand ich nicht so recht, was sie damit meinte, doch erinnere ich eindrückliche Bilder. Eines Abends saßen wir alle, auch mein Vater, rund um den spitzengedeckten Tisch in Großmutters Stube. Der Alte trank Bier, die Frauen Eierlikör. Die Stehlampe leuchtete gelb, die Uhr tickte und Oma Frieda schaltete ihr großes Radio ein: „Gleich fängt es an! Hört einfach zu!“ "Ich heiße Beckmann. (Vornamen hast Du wohl nicht, Neinsager?) Nein, seit gestern, seit gestern heiße ich nur noch Beckmann. Einfach Beckmann, so wie der Tisch Tisch heißt. (Wer sagt Tisch zu Dir?) Meine Frau. Nein, die, die meine Frau war. Ich war nämlich drei Jahre weg in Russland, und gestern kam ich wieder nach Hause. Das war das Unglück. Drei Jahre sind viel, weißt Du. Beckmann, sagte meine Fau zu mir, einfach nur Beckmann!" Wolfgang Borchert und sein Stück „Draußen vor der Tür“ - wie oft habe ich es seitdem gehört und immer wieder gelesen. Ich merkte voller Angst, daß mein Vater beim Zuhören immer unruhiger wurde, eine Zigarette nach der anderen rauchte. Und als Beckmann begann, von seinen Albräumen zu erzählen, liefen ihm Tränen über das Gesicht. "Aber sie rotten sich zusammen die Verrotteten und bilden Sprechchöre, Beckmann brüllen sie, Unteroffizier Beckmann, immerzu: Unteroffzier Beckmann und das Brüllen wächst, und das Brüllen rollt heran, so würgend groß, daß ich keine Luft mehr kriege und dann schreie ich, dann schreie ich los in der Nacht und davon werde ich dann immer wach!" Ich saß da, vor dem Radio und konnte kaum noch atmen, die Kehle zugeschnürt und erinnerte meinen Vater, wie er vor Jahren oft genug des Nachts laut gestöhnt hatte: „Ich krieg keine Luft mehr! Ich sterbe!“ Diesem Beckmann ging es nicht anders. All den Toten und Verrotteten auch nicht. Und mein Vater, dieser große, schwere Mann, hatte geweint. Richtig geweint. Ich schwitzte vor Angst. Meine Oma stand auf, nahm mich in den Arm, drückte meinen Kopf an ihre große Brust. Dann setzten wir uns wieder. Hörten zu. Jenem Unteroffizier Beckmann, den ich später auf der Berliner Vagantenbühne wiedertraf - meine Großmutter hatte uns Karten gekauft. Ihr bin ich bis heute dankbar. Auch für Borcherts Gesammelte Werke, die sie mir einst zu meiner Konfirmation schenkte. Sie war es, die mir immer wieder die Welt erklärte. Damals schon, als wir wie gebannt in ihrer Stube saßen und Borcherts Stück im Radio hörten. "Wo bist du jetzt, Jasager? Jetzt antworte mir! Jetzt brauche ich dich, Antworter! Wo bist du denn? Du bist ja plötzlich nicht mehr da! Wo bist du, Antworter, wo bist du, der mir den Tod nicht gönnte! Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum redet er denn nicht?! Gebt doch Antwort! Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner eine Antwort? Gibt keiner Antwort??? Gibt denn keiner, keiner Antwort??? " (Fortsetzung folgt)

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