Radio Drama Workshop der EBU

O-Ton Rating

Jochen Meißner: "Wir senden keine Wörter oder O-Ton-Rating" Nikolajew: Now we need am Microphone, yes. Autor: Dimitri Nikolajew mag keine Mikrophone, jedenfalls keine in die er selbst hineinsprechen soll. Umso besser ist der russische Hörspielregisseur dabei andere Leute dazu zu animieren in Mikrophone zu sprechen – besonders Leute, die sich wie er selbst hinter Mikrophonen wohler fühlen als vor ihnen. O-Ton: Alinka, could you say with this words, that you love me: „Dyr Ubeschur r-l-ez“ And yoou can use it as military commands, an officer, a general … It’s german Paunovic, Echos from a war: clean war Autor: Bei dem alle zwei Jahre stattfindenden Radio Drama Workshop der European Broadcasting Union (EBU) verteilte Dimitri Nikolajew Zettel mit sinnfreien Lautverbindungen des Dichters Alexej Krutschonych. Der schrieb 1913 das Libretto zur ersten futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“ und entwickelte zusammen mit Velimir Chlebinikow die Kunstsprache Zaum. O-Ton: You will be the press-secretary of a very good corporation, who gives us peace and very good products. We are not greedy. – That’s for me – We are a very good corporation, multinational, you’re press secretary: „Dyr-bull-schy’l…“ Autor: Warum Nikolajew die versammelten Hörspieldramaturgen von Irland bis Rumänien, von Schweden bis Kroatien zur Rezitation futuristischer Phoneme nötigte? Um auf etwas aufmerksam zu machen, was im Radio – und das gilt für die großen Formate wie Hörspiel und Feature ebenso wie für das Tagesgeschäft – oft in Vergessenheit gerät: Nikolajew: Now I need to do the second step, what we are broadcasting? What we broadcast? Words, music, soundeffects? What? We broadcast atmospheres in the studio, but not words, not words. We are not broadcasting words. Autor: In einem jederzeit auf Allgemeinverständlichkeit eingetunten Massenmedium wie dem Radio muss man sich ab und zu mal trauen so grundsätzlich zu werden. Und natürlich hat er Recht: gesendet werden keine Wörter, sondern frequenz- oder amplitudenmodulierte Radiowellen, die von den Empfangsgeräten in jenen Bereich des elektromagnetischen Spektrums zurückverwandelt werden, den das menschliche Ohr verarbeiten kann. Und doch ist es immer noch das Wort, das sich außergewöhnlicher Wertschätzung erfreut. Und im Radio gibt es einen Begriff für das besonders hochwertige, weil authentische Wort: den O-Ton Walter Filz: Inzwischen habe ich festgestellt, das ist ein Terminus, den überhaupt nur deutsche Radioleute benutzen, weil wir machen ja viel Gewese um den O-Ton und ich habe mal rumgefragt, gibt’s das eigentlich in anderen Sprachen. Es gibt so ungefähre Entsprechungen, aber so richtig trifft es nicht und das deutet doch sehr darauf, dass der Fetisch, den wir um den Originalton machen in anderen Ländern in anderen Sprachgemeinschaften überhaupt nicht vorhanden ist. Autor: Walter Filz, selbst Feature-Autor und Chef der SWR-Feature-Abteilung. Walter Filz: Kein Mensch verwendet das Wort Originalton im alltäglichen Sprachgebrauch, wir reden ja nicht von den herrlichen Originaltönen der Singvögel im Wald und so was. Also wir haben ihn offenbar als Medienmacher, als Radiomacher als sozusagen das höchste an Authentizität was wir bekommen können. Wobei man natürlich bedenken muss, diese Art von Authentizität ist immer aus zweiter Hand, das Mikro ist dazwischen. Autor: Das Authentische verflüchtigt sich immer genau im dem Moment in dem ein Mikrophon (oder eine Kamera) ins Spiel kommt. Mittlerweile weiß das auch das Publikum, das gerne mitspielt. Früher war das noch anders: Geers, Meinungscontainer: Wir wollen hören. Wir wollen nicht sprechen, wir wollen was hören. Walter Filz: Vor vierzig Jahren gab’s natürlich die Strategie, wir verlassen das Fiktionale vollkommen und wir müssen in die Realität kommen und natürlich haben wir Beispiele aus den späten 60ern, Paul Wühr „Preislied“ oder Entdeckung: Jürgen Geers „Der Meinungscontainer" wo das Hörspiel radikal und total versucht hat real zu werden. Geers, Meinungscontainer: Es ist Juni 1982 als wir in der Fußgängerzone in Kassel mit unserem Vorhaben beginnen, eine Kleinstausgabe einer Rundfunkanstalt zu errichten. Eine Form des Radios, das jedem der gerade vorbeikam offen stehen sollte um zu hören oder sich hören zu lassen. Autor: Dass aus dem Radio oder dem Fernseher noch unvermittelte Realität herauskommt, glaubt heute keiner mehr. Und die größten Lügen produzieren bekanntlich die sogenannten Scripted-Reality-Formate, an denen wenig mehr real ist als die Laiendarsteller, die sich für sie hergeben. Zeit für eine Typologie des Realen im Radio: Walter Filz: Ich hab sozusagen ein Schema versucht aufzustellen mit dem man da das Hörspiel ja so gerne mit Originaltönen häufiger heute als früher arbeitet und das Feature ja ab und zu die Dokumentation ja dazu neigt spielerische Elemente einzufügen habe ich versucht so eine paar Unterscheidungskriterien zu machen. Das Schema orientiert sich ein bisschen an den Rating-Agenturen AAA, da ist bei mir aber „Acted Acting by Actors“, das Ganze ist ja auf Englisch und NNN, das Gegenteil, ist „Non-acted Non-acting by Non-actors“. Und NNN wäre natürlich die pure Realität, während AAA das vollkommene geschauspielerte Schauspieler Schauspiel bzw. das Hörspieler-Hörspiel ist. Autor: Interessant sind nun die Zwischenformen. Die Stücke der Theateraktivisten von Rimini Protokoll, wie auch die von Hoffmann & Lindholm basieren auf dokumentarischem Material. Und manche Autoren emanzipieren sich völlig vom ursprünglichen Kontext der O-Töne. Walter Filz: Es gibt jemanden wie Hermann Bohlen, der inzwischen schon seit über 15 Jahren mit wirklichen Menschen arbeitet, d.h. Polizisten werden bei ihm von Polizisten dargestellt – hinten ein N – non-actors und diese Polizisten kriegen natürlich auch keinen Text von Hermann Bohlen vorgeschrieben, die sagen eben, was Polizisten so sagen, also vorn auch ein N also kein Skript, dass sie in der Mitte immer noch ein A haben, sonst wäre es ja gleich die pure Realität, das ist dann im Grunde die ja Kombinationsfrage und Schnitttechnik des Autors Hermann Bohlen, der das Material, was er bei Polizisten und nicht nur bei Polizisten einholt, dann einem artifiziellen Prozess unterzieht, d.h. er montiert es, er setzt es um, er setzt es anders ein und er sorgt natürlich dafür, dass die Polizisten auch bestimmte Sachen sagen, die er am Ende dann verwenden möchte Bohlen: Prozedur 7.7.0: Ja Wagner, Kriminalkommissar, Mitarbeiter einer Einsatzgruppe, die eingesetzt wurde, um den Charakter, das Wesen von Gruppierungen von Leuten festzustellen, die uns als Polizei, bzw. auch bei der Regulierung der sozialen Abläufe hier bei uns merkwürdig vorkommen. Autor: Das Radio sendet keine Wörter, es transportiert auch Stimmen und Jargons kurz: Authentizitätsversprechen – Auch und gerade im Feature ist das nicht immer unproblematisch. Walter Filz: Also der vollkommen radikale Schritt in die Realität ist vor 40 Jahren getan worden, allerdings denke ich zu einem radiohistorischen Zeitpunkt als das Feature / die Dokumentation sich darum noch gar nicht richtig gekümmert hat. Also ich glaube, ich bin mir nicht ganz sicher, das Hörspiel hat den O-Ton vorher entdeckt, vor dem Feature aber als natürlich super-avantgardistische Technik, während das Feature sozusagen um die Ecke des Journalismus relativ brav auf den O-Ton gekommen ist und auch erstmal relativ brav an das Originale des O-Tons geglaubt hat, tut ja das dokumentierende Radio immer noch.

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